(6) Die einen haben sich erdreistet zu denken und zu behaupten, dass sich der aus
Gott, dem Vater, [gezeugte] Logos zwar als Mensch gezeigt hat, jedoch nicht, dass er
auch das aus der heiligen {und gottgebärenden} Jungfrau [geborene] Fleisch getragen
hat, und behaupten lügnerischerweise den bloßen Schein des Geheimnisses.
Andere wiederum, die vorgeben, über die Vorstellung zu erröten, einen Menschen
anzubeten, sich weigern, das aus der Erde [genommene] Fleisch mit höchsten Ehren
zu krönen, und infolge von allzu großer Unwissenheit an falscher und verderbter
Frömmigkeit kranken, behaupten, dass sich der aus Gott, dem Vater, entstandene
Logos in eine Natur aus Knochen, Sehnen und Fleisch umgewandelt habe, wobei die
Elenden die Geburt des Immanuel aus der Jungfrau heraus glatt verlachen und dem
durchaus besten und gottgeziemenden Heilsplan das Ungebührliche zuschreiben.
Andere aber sind zu der Überzeugung gekommen, dass der dem Vater gleich ewige
Gott-Logos spätgeboren sei und erst dann ins kümmerliche Dasein gerufen wurde, als
er den Ursprung der fleischlichen Geburt empfing.
Es gibt aber auch welche, die frevlerisch zu einem solchen Grad der Tollheit ver‐
führt worden sind, dass sie sagen, der aus Gott [gezeugte] Logos sei ohne Hypostase,
sondern lediglich eine Rede, die allein dem Vortrag nach als im Menschen entstanden
aufgefasst wird. Solche waren Markellos und Photin.
Allerdings sind andere auch der Meinung, man solle glauben, dass der Einzig‐
geborene zwar wahrhaft Mensch geworden ist und fleischliche Gestalt angenommen
hat, jedoch keineswegs noch außerdem, dass das angenommene Fleisch auch vollendet
mit einer vernunftbegabten Seele, die einen Verstand wie den unseren besaß, beseelt
worden sei. Und indem sie den aus Gott [gezeugten] Logos und den aus der heiligen
Jungfrau [geborenen] Tempel zu einer, wie sie meinen, umfassenden Einheit zusam‐
menschnüren, behaupten sie, dass der Logos in ihm [sc. dem Tempel] Wohnung ge‐
nommen und sich den angenommenen Leib zu eigen gemacht habe, er aber selbst den
Platz der vernunftbegabten und geistlichen Seele vollständig ausgefüllt habe.
Wiederum andere ziehen Lehren vor, die denen dieser entgegenstehen, und be‐
kämpfen diese Ansichten, indem sie betonen, dass der Immanuel aus Gott-Logos und
einer vernunftbegabten Seele und einem Leib, oder einfach einer vollendeten Mensch‐
heit, zusammengesetzt und verflochten sei. Die unversehrte und vollkommen makel‐
lose Herrlichkeit, die darin liegt, haben sie jedoch keineswegs mehr bewahrt. Sie
spalten nämlich den einen Christus in zwei auf und stellen, indem sie ihnen gleichsam
einen breiten Schnitt zufügen, jeden einzelnen separiert als beinahe neben dem
anderen stehend dar, wenn sie behaupten, dass der eine der aus der Jungfrau vollendet
geborene Mensch sei, der andere dagegen der aus Gott, dem Vater, [gezeugte] Logos.
Dabei bestimmen sie nicht [bloß], was die Natur des Logos und die des Fleisches
eigentlich ist, und wollen auch nicht allein die Unterschiede, die im Hinblick darauf
bestehen, ergründen (denn sie hätten [so] das wahre Verständnis nicht so weit ver‐
fehlt, da die Natur des Fleisches und die der Gottheit nicht dieselbe ist), sondern le‐
gen den einen als Menschen für sich allein und separiert fest und nennen den anderen
als Gott von Natur aus und wahrhaftig [existierenden] Sohn, obwohl sie Christen sein
möchten. Und wenn sie irgendwelche Schriften darüber verfassen, erdreisten sie sich,
wörtlich Folgendes zu sagen:
„Denn der eine, der aus Gott, dem Vater, [gezeugte] Logos, ist von Natur aus und
wahrhaftig Sohn, der andere aber ein Sohn, der mit dem Sohn den Namen teilt.“
Und etwas später wieder:
„Der Logos Gottes ist nicht Fleisch, sondern hat den Menschen angenommen.
Denn der Einziggeborene ist an erster Stelle und für sich selbst Sohn Gottes, des
Schöpfers des Alls. Derjenige aber, den dieser als Menschen annahm, wird, obwohl er
nicht von Natur aus Gott ist, durch den wahrhaftigen Sohn Gottes, der ihn ange‐
nommen hat, mit dem gleichen Namen wie er genannt. Denn der Vers: ‚Keiner hat den
Sohn erkannt, außer dem Vater‘, offenbart den von Natur aus und in Wahrheit aus
dem Vater [gezeugten] Sohn, aber die von Gabriel gesprochenen Worte: ‚Fürchte dich
nicht, Maria, denn du hast Gnade bei Gott gefunden. Siehe, du wirst schwanger wer‐
den, einen Sohn gebären und ihm den Namen Jesus geben‘, passen auf den Menschen.“