CV149: Kyrills Rede an die Augustae über den Glauben

Inhalt: Kyrill richtet sich in seinem Schreiben nach seiner Rede ‚Ad dominas‘ (Dok. 40) ein zweites Mal an von ihm als ‚Kaiserinnen‘ angesprochene Adressatinnen, um diese in ihrem rechten Glauben zu bestärken. Zu diesem Zweck führt er, geordnet nach verschiedenen Glaubensfragen, eine Vielzahl von Zitaten aus den neutestamentlichen Schriften an, mehrheitlich solche, die auch eine Interpretation im Sinne einer nestorianischen Christologie zulassen. Diese kommentiert er dann jeweils unmittelbar im Anschluss und deutet sie dabei entsprechend seiner eigenen Position aus, die nachdrücklich die Einheit Christi betont.

Edition: Collectio Vaticana 149, ACO I,1,5 S. 26,2–61,31; ältere Edd.: PG 76, Sp. 1336–1420; Pusey (1965 [= 1868–1877]), Bd. 7 S. 263–333

Verzeichnisnummern: CPG 5220

Verfasser: Kyrill von Alexandria

Datierung: 430

Lat. Übersetzungen:  –

Literatur: van Loon (2009), S. 454–474

(18) „Seid untereinander jeweils so gesinnt, wie es auch in Christus Jesus [vorge­
geben ist], der es in seiner Existenz in Gestalt Gottes nicht für ein Beutestück hielt,
Gott gleich zu sein, sondern sich entäußerte, indem er die Gestalt eines Knechtes
annahm, den Menschen gleich wurde. Und indem er sich in seiner Erscheinung als
Mensch zeigte, erniedrigte er sich selbst, wobei er gehorsam wurde bis zum Tod, zum
Tod am Kreuz. Deshalb hat Gott ihn auch gewaltig erhöht und ihm einen Namen
verliehen, der über jedem Namen steht, damit sich im Namen Jesu Christi
jedes Knie
beuge, himmlischer, irdischer und unterirdischer Wesen, und jede Zunge offen beken­
ne,
dass Jesus Christus Herr ist zum Ruhm Gottes, des Vaters.“ Siehe also: Er sagt
deutlich, dass der in Gestalt des Vaters und Gleichheit mit ihm existierende Gott-
Logos es nicht für ein Beutestück hielt, Gott gleich zu sein, sich vielmehr entäußert
habe, indem er freiwillig die Gestalt eines Knechts annahm und den Menschen gleich
wurde, und fügt hinzu, dass er sich selbst erniedrigt habe, wobei er gehorsam wurde
bis zum Tod, zum Tod am Kreuz.

Wenn nun also der eine und einzige Christus und Herr in zwei Christi und Söhne
aufgespalten werden soll und, wie es gewissen Leuten richtig scheint, der Logos Got­
tes den von einer Frau [geborenen] Menschen durch Gleichstellung mit den eigenen
Würden geehrt und [ihn] mit sich selbst verbunden hat im Hinblick auf die Art der
Autorität und entsprechend der Namensgleichheit der Sohnschaft, als ob es neben
ihm einen anderen Sohn für sich gäbe, wer ist denn der, der sich selbst entäußert hat,
oder auf welche Weise hat er sich entäußert? Wenn nämlich, wie sie selbst sagen, der
von einer Frau [geborene] Mensch für sich wahrgenommen wird und man sagt, er
habe dies erlitten,
wie oder auf welche Weise hat er sich entäußert und ist derjenige
wie zu einer Erniedrigung hinabgestiegen, der im Hinblick auf die Art des Wertes
oder eben der Autorität zu einer Gleichstellung mit dem Gott-Logos gelangte und
diese Verbindung mit ihm besaß? Wenn aber der Begriff der Entäußerung auf den
Gott-Logos selbst angewandt wird, wenn er wiederum für sich und dem Anteil nach
als Sohn verstanden wird, wie hat er sich entäußert, wenn er einen anderen geehrt, wie
sie selbst sagen, und ihn in die eigenen Würden gekleidet hat? Auf welche Weise hat
sich derjenige erniedrigt, der die Höhe seiner eigenen Herrlichkeit dem Verbundenen
gegeben hat? Wenn sie nämlich sagen sollten, dass er, wenn er einen anderen ver­
herrlicht, selbst die Erniedrigung oder eben die Entäußerung hinnimmt, wäre es, wie
es scheint, nichts Widersinniges zu denken, dass er sich auch erhöht, wenn er [jeman­
den] entehrt.

Da uns also ein zwingender und natürlich auch wahrer Grund beinahe dazu drängt,
glauben zu müssen, dass sich die Fülle entäußert und sich vermutlich nicht das in
Gestalt eines Knechtes versetzt, was von Natur aus Knecht ist, sondern was jenseits
der Maße der Knechtschaft liegt, und das den Menschen gleich wird, was der Natur
nach nicht so war, bevor es [dazu] wurde, und dass sich das Hohe erniedrigt, glauben
wir, dass der Logos Gottes selbst dem eigenen Willen entsprechend diese Dinge für
uns auf menschliche Weise durchgemacht hat, auf göttliche Weise aber in den Höhen
seiner eigenen Überlegenheit geblieben ist. Daher sagt man doch auch, dass er ge­
waltig erhöht worden ist,
den Namen erhalten hat, der über jedem Namen steht, und
von allen verehrt und zum Ruhm Gottes, des Vaters, Herr genannt wird. Denn weil er
sich, obwohl er in der Überlegenheit des Vaters und in unaussprechlichen Höhen
existierte, selbst in die Entäußerung hinabbegeben hat und man von ihm sagt, er habe
sich erniedrigt, indem er die Gestalt eines Knechtes angenommen hat, er aber wieder
zu seinem eigenen Reichtum aufgestiegen ist, nachdem er die Armut der Natur, die
mit ihm geeint war, – der menschlichen selbstverständlich – überwunden hatte, des­
halb sagt man in der Tat, er habe auf menschliche Weise das erlangt, was immer und
unzertrennlich in ihm vorhanden war, nämlich Gott und Herr des Alls zu sein. Und
wenn es wirklich ruhmvoll für den Vater ist, im eigenen Sohn den Herrn des Alls zu
haben, wie wäre es nicht wahr zu sagen, dass er ihm auch, als er die Gestalt des Knech­
tes angenommen hatte, die Freiheit und die außerordentliche Würde der Herrschaft
und Macht über alles bewahrt hat.

18 | 1–9 Seid … Vaters]

Phil 2,5–11, ebenfalls zur Exegese angeführt in CV150,173,1 – 9, ACO I,1,5 S. 105,31–36 (Dok. 40).

18 | 1 jeweils]

ἕκαστος: vermutlich aus dem vorangehenden Phil 2,4 (μὴ τὰ ἑαυτῶν ἕκαστος σκοποῦντες oder auch der pluralischen Form am Ende des Verses) interpolierter Zusatz zum Text des Philipperbriefes, der sich auch in anderen Schriften Kyrills findet (vgl. z.B. Dial. trin. 1, S. 404,39; CI 9,17,6).

18 | 7–9 jedes … beken­ne]

Vgl. Jes 45,23.

18 | 16–23 und … erlitten]

Nestorius hatte in seiner als sermo 1 bezeichneten Predigt Phil 2,9–11 in einer Weise ausgelegt, die physisch auf eine klare Trennung des göttlichen und des menschlichen Anteils in Christus hinausläuft (vgl. Loofs, Nestoriana S. 261,17–262,12 = CV166,II,11,1 – 4, ACO I,1,6 S. 48.33–36 [Dok. 25] + CV166,II,12,1 – 2, S. 50,9f. + CV166,II,13,1 – 6, S. 51,5–8). Möglicherweise spielt Kyrill hier, wenn er sich ausdrücklich auf Aussagen seiner Gegner bezieht, auf ebendiesen Passus an. In auffälliger terminologischer Nähe zu dem hier kommentierten Passus steht hingegen Loofs, Nestoriana S. 354,7–11 (= CV166,II,5,1 – 5, ACO I,1,6 S. 41,23–25), wo Nestorius innerhalb nur weniger Zeilen die auch hier verkommenden Begriffe ἀξίωμα (Würde), αὐθεντία (Autorität), ἀξία (Wert) und συνάφεια (Verbindung) verwendet und zumindest auf Phil 2,7 Bezug nimmt.

18 | 36 entäußert]

Vgl. oben CV149,18,7.

18 | 37 Gestalt … Knechtes]
18 | 38 das … wird]

Vgl. oben CV149,18,8.

18 | 39 erniedrigt]

Vgl. oben CV149,18,9.

18 | 42–43 er … steht]
18 | 42–43 er … ist]

Vgl. oben CV149,18,6.

18 | 43 den … steht]
18 | 44 zum … wird]

Die Akten des Konzils von Ephesus 431. Übersetzung, Einleitung, Kommentar

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