(19) „Indem ihr dem Vater Dank sagt, der uns vorbereitet hat auf das Erbteil der
Heiligen im Lichte, der uns aus der Macht der Finsternis errettet und in das Reich des
Sohnes seiner Liebe versetzt hat, durch den wir Erlösung, die Vergebung der Sünden,
haben, der Abbild des unsichtbaren Gottes, Erstgeborener der gesamten Schöpfung
ist, weil durch ihn alles erschaffen worden ist, das in den Himmeln und das auf der
Erde, das Sichtbare und das Unsichtbare, seien es Throne, Herrschaften, Reiche oder
Mächte. Das alles ist durch ihn und auf ihn hin erschaffen; und er selbst ist vor allem
und alles besteht in ihm; und er selbst ist das Haupt des Leibes der Kirche. Er ist der
Anfang, Erstgeborener aus den Toten, um derjenige zu werden, der in allem den ersten
Platz einnimmt, weil es der ganzen Fülle [sc. der Gottheit] gefallen hat, in ihm zu
wohnen und durch ihn alles auf ihn hin wieder zu versöhnen, indem er durch das Blut
seines Kreuzes Frieden stiftete, sei es unter den Dingen auf der Erde oder in den Him‐
meln.“ Abbild des unsichtbaren Gottes nennt er den aus ihm gezeugten natürlichen
Sohn, also den Gott-Logos und sagt, dass durch ihn alles zur Entstehung gebracht
worden ist, sei es das Sichtbare oder Unsichtbare, im Himmel und auf der Erde, und
dass er vor allem ist (‚am Anfang war‘ ja ‚das Wort‘) und er selbst der Schöpfer der
Zeitalter ist und eine Existenz älter als jede Zeit besitzt. Gleichwohl sagt er, dass
derjenige, der sich der eigenen Natur nach so verhält, vom Vater als Haupt des Leibes
der Kirche eingesetzt worden und er der Erstgeborene aus den Toten sei. Auf welche
Weise sagt man also, dass der ewig existierende Gott-Logos, durch den alles besteht,
Erstgeborener aus den Toten geworden ist und Erstling der Entschlafenen, wenn nicht
der Leib, der von ihm angenommen wurde, wahrheitsgemäß sein eigener ist, [und]
wenn dieser den Tod erlitten hat, er wohl auch selbst als leidend verstanden werden
kann? Da das, was sich um ihn herum ereignet hat, keinen unwahrscheinlichen Grund
hat, hat er nämlich das ihm Eigene gelitten. So wird er als Erstgeborener aus den Toten
verstanden, obwohl er im Hinblick auf die Natur unsterblich und ganz und gar Leben
ist. Da er also als Haupt des Leibes der Kirche eingesetzt worden ist, weil er sich selbst
in die Entäußerung hinabbegeben hat, wird dann gesagt, dass derjenige, der als Gott
den Tod nicht erleiden kann, für uns auf menschliche Weise auch gestorben ist.
Wenn aber der selige Paulus sagt, dass in ihm die ganze Fülle Wohnung genommen
habe, werden einige vielleicht sagen: ‚Siehe, er kennt den von einer Frau [geborenen]
Menschen für sich als einen anderen Christus, in welchem der Logos oder der Geist,
[also] die Fülle der Gottheit, wie ein anderer neben ihm und für sich [existierender]
Christus leiblich Wohnung genommen hat.‘ Auf solche Dinge sagen wir, dass der Trä‐
ger des Geistes keine zwei Christi kennt, sondern einen verkündet, wie selbstverständ‐
lich auch einen Vater. Er sagt uns schließlich: „Es gibt einen Gott, den Vater, aus dem
alles ist und wir auf ihn hin, und einen Herrn Jesus Christus, durch den alles ist und
wir durch ihn.“ Wohlan, lasst uns, indem wir [es] einer Prüfung unterziehen, die
Bedeutung des Gesagten betrachten. Er sagt, dass das Abbild des unsichtbaren Gottes,
derjenige, durch den und in dem alles ist, der ewige Sohn, der Urgrund des Alls, der
Kirche als Haupt gegeben worden ist, und auch, dass er zum Erstgeborenen aus den
Toten geworden ist. Da er aber im Hinblick auf die Natur unsterblich ist, ist es ver‐
mutlich schlechterdings unumgänglich zu sagen, dass der aus Gott, dem Vater, [ge‐
zeugte] Logos mit der uns entsprechenden Menschheit zu einer auf den Heilsplan
gerichteten und wahren Einung zusammengekommen ist und so von uns zu einem
Christus erklärt wird, der in einer Person zugleich Gott und Mensch ist. In wem hat
also nun die gesamte Fülle der Gottheit leiblich Wohnung genommen? Es ist nun ganz
und gar einfältig zu glauben, dass dies für sich und allein in der Natur des Logos ge‐
schehen sei. Es wäre schließlich das Gleiche, als sagte man, dass der Einziggeborene
persönlich in sich selbst Wohnung genommen habe. Wenn man glaubt, dass ‚der Logos
Fleisch geworden ist‘, [und zwar] nicht aufgrund einer Veränderung oder Umwand‐
lung, sondern vielmehr ‚weil er unter uns Quartier genommen hat‘, und er den mit
ihm wahrhaft geeinten Leib, der eine vernunftbegabte Seele besaß, zu seinem eigenen
Tempel gemacht hat, ist es fromm zu sagen, dass der Göttliches kündende Paulus,
wenn er für uns die Wohnungsnahme des Logos im heiligen Fleisch oder eben die
wahre Einung erwähnt, meint, dass die gesamte Fülle der Gottheit in ihm Wohnung
genommen habe, [und zwar] nicht in Form einer Teilhabe oder eines verwandtschafts‐
artigen Verhältnisses oder wie bei der Gewährung einer Gnade, sondern vielmehr leib‐
lich, also wesenhaft, [so], wie man auch sagen kann, dass in einem Menschen sein eige‐
ner Geist wohnt, kein anderer, der neben ihm existiert. Eine Redewendung, die zwei
Personen suggeriert, wird von uns aber sehr häufig auf eine Person angewandt und sie
beeinträchtigt in keiner Weise die Wahrheit wie zum Beispiel, wenn von der göttlich
inspirierten Schrift über Gott gesagt werden kann: „Der den Geist des Menschen in
ihm formt.“ Und doch: Wie sollte es nicht allen klar sein, dass sein in ihm geformter
Geist wohl nicht als etwas neben dem Menschen [existierendes] anderes verstanden
werden kann? Es sagt aber auch der selige David an einer Stelle: „Ich redete nachts mit
meinem Herzen und mein Geist grub.“ Wer war denn derjenige, der mit seinem
eigenen Herzen redete und im eigenen Geist grub? Man darf also die Redewendungen
nicht allzu sehr auseinandernehmen, sondern muss vielmehr seinen Blick auf die
Natur der Dinge selbst richten und von ihr aus, indem man sich auf rechte Weise
leiten lässt, auf die Wahrheit selbst zugehen.