(25) „Denn es ziemte sich für den, dessentwegen das All und durch den das All ist
und der viele Söhne zum Ruhm geführt hat, den Urheber ihrer Rettung durch Leiden
zu vollenden. Denn derjenige, der heiligt, und jene, die geheiligt werden, entstammen
alle einem. Aus diesem Grund schämt er sich nicht, sie Brüder zu nennen, wenn er
sagt: ‚Ich werde deinen Namen meinen Brüdern verkünden, dich inmitten der Ge‐
meinde preisen.‘“Vielleicht denken einige der weniger Gebildeten, die gewohnt sind,
den einen Herrn Jesus Christus in zwei Christi und zwei Söhne aufzuspalten, dass ge‐
meint sei, der von einer Frau [geborene] Mensch sei durch Leiden vollendet worden,
welcher [dabei] für sich wahrgenommen wird, getrennt von dem aus Gott, dem Vater,
stammenden Logos, und dass gesagt werde, er sei der Urheber unserer Rettung und
sei vollendet worden, indem er vom Logos Gottes selbst dem Leiden wie ein anderer,
der für sich [besteht], überlassen worden sei. Sie meinen nämlich, dass die Wendung
„um dessentwillen das All ist und durch den das All ist“ am besten auf ihn [sc. den
Logos] passe, weil der selige Evangelist sagt: „Alles ist durch ihn entstanden und ohne
ihn ist nicht ein Ding entstanden.“ Sie sagen also: ‚Es ziemte sich für den Logos, um
dessentwillen das All ist und durch den das All ist und der viele Söhne zum Ruhm
geführt hat, den Urheber ihrer Rettung, also einfach den durch die heilige Jungfrau
[geborenen] Menschen, durch Leiden zu vollenden.‘ Dass ihr Gedankengang aber vol‐
ler Dummheit ist, werde ich, wenn möglich, versuchen, nun noch darzulegen.
Zunächst einmal wird nämlich die Wendung ‚durch den‘ auf den Vater selbst ange‐
wandt. Daher sagt auch der selige Paulus: „Gott ist zuverlässig, durch den ihr zur
Gemeinschaft seines Sohnes gerufen wurdet.“ Und ein andermal sagt er dann denen,
die durch den Glauben zur Würde der Freiheit gerufen worden sind: „Du bist kein
Knecht mehr, sondern Sohn; wenn aber Sohn, dann auch Erbe durch Gott.“ Da also
die göttlich inspirierte Schrift keine eindeutig bestimmte Haltung im Hinblick auf die
Bedeutung des Ausdrucks einnimmt, sie ihn aber auch bezogen auf den Vater gelten
lässt, gibt es nichts, was uns dazu drängt, die Wendung ‚durch den‘ gleichsam not‐
wendig auf die Person des Sohnes anzuwenden. Da dies aber zutrifft, warum sagen wir
nicht lieber, indem wir dessen Person im vorliegenden Fall beiseite lassen, dann der
Intention der heiligen Schriften folgen und zugunsten des mit dem Fleisch verbunde‐
nen Heilsplans des Einziggeborenen die ihm [sc. dem Heilsplan] angemessene Aus‐
drucksweise bewahren, dass der Vater den Mensch gewordenen Sohn durch Leiden
vollendet habe? ‚Denn er nahm das Kreuz auf sich, da er die Schande geringschätzte‘,
wohl vollkommen im Wohlwollen Gottes, des Vaters, auf dass er auch uns, die wir
entschlossen sind, seinen Spuren zu folgen, rüstig mache, wenn wir auf den hören, der
da sagt: „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten
können.“ Da wir nämlich dazu bestimmt waren, Bedrängnis zu erfahren in der Welt,
von den Feinden verfolgt zu werden, für die Lehre der Wahrheit zu streiten und mit
Schweiß und Mühen die Tugend in vortrefflicher Weise aufrecht zu erhalten, lässt er es
nicht zu, dass wir von Verzagtheit zerrieben werden, sondern macht uns vielmehr
überaus zuversichtlich, weil er selbst Leiden durchgemacht hat, auf dass er auch uns
überzeuge, wenn er sagt: „Ein Schüler steht nicht über dem Lehrer und ein Knecht
nicht über seinem Herrn. Es ist für den Schüler ausreichend, dass er werde wie der
Lehrer, und für den Knecht, wie sein Herr.“„Wenn sie mich verfolgt haben, werden sie
auch euch verfolgen.“ Es ist dem Einziggeborenen also zum Ziel geworden, im eigenen
Fleisch für uns zu leiden.
Welchen Grund es dafür gibt, lehrt der Göttliches kündende Paulus, indem er sagt:
„Da nämlich die Kinder des Blutes und Fleisches teilhaftig geworden sind, hat er auch
selbst auf gleiche Weise Anteil daran genommen, damit er durch den Tod denjenigen,
der die Macht des Todes besitzt, also den Teufel, zunichte machen und jene befreien
konnte, die aus Angst vor dem Tode ihr ganzes Leben hindurch der Knechtschaft
unterworfen waren.“Da es nun also für die Natur des Menschen unerreichbar war,
den Tod zunichte zu machen (schließlich ist sie von ihm beherrscht worden, da jener
uralte Fluch sie in diesen Zustand versetzt), legte sich notwendigerweise der leben‐
spendende Logos Gottes die dem Tod unterworfene Natur um, also die uns entspre‐
chende oder eben die menschliche, damit der Tod, wenn er wie ein wildes Tier auch
sein [sc. das vom Logos angenommene] Fleisch anfällt, von der Schreckensherrschaft
über uns ablässt in der Überzeugung, dass er von einem Gott zunichte gemacht
worden ist. Es ist also derselbe, der sich um unseretwillen auf menschliche Weise im
Fleisch vollendet, uns aber auf göttliche Weise vollendet, indem er die Macht des To‐
des zunichte macht. Er überließ der menschlichen Natur nämlich die Unvergäng‐
lichkeit, da sie unter dieser Voraussetzung auch am Anfang entstanden war. „Denn
Gott hat den Tod nicht gemacht und erfreut sich nicht am Untergang der Lebenden.
Er hat das All erschaffen, damit es existiere. Und heilsam sind Geschöpfe der Welt,
und es gibt unter ihnen keine Droge des Verderbens, und es gibt keinen Palast des
Hades auf Erden.“„Doch durch den Neid des Teufels ist der Tod in die Welt ge‐
kommen.“ Weil er uns auf diese Weise vollendet hat, sagte er zum Vater und Gott in
den Himmeln: „Ich habe dich auf Erden verherrlicht, indem ich das Werk vollendet
habe, welches du mir gegeben hast, damit ich es tue.“ Ruhm gebührt Gott, dem Vater,
nämlich wahrlich, weil er durch seinen eigenen Sproß den Tod zunichte gemacht hat.
Daher ist es für ihn zur Vollendung durch das Leiden gekommen, für uns aber zum
Gewinn dessen, was fehlte. Denn was in Christus [ist], ist die neue Schöpfung.
Dass er aber nicht sagt, dass lediglich ein Mensch vollendet worden ist, während
der Logos [davon] ausgenommen ist, sondern vielmehr der in menschlicher Gestalt
erschienene Einziggeborene, soll wiederum der selige Paulus bestätigen, wenn er hin‐
zusetzt: „Denn derjenige, der heiligt, und jene, die geheiligt werden, entstammen alle
einem. Aus diesem Grund schämt er sich nicht, sie Brüder zu nennen, wenn er sagt:
‚Ich werde deinen Namen meinen Brüdern verkünden.‘“ Wer wohl derjenige ist, der
heiligt, und diejenigen, die geheiligt werden, und auf welche Weise alle einem oder
jemandem entstammen, ist unbedingt der Betrachtung wert. Es heiligt demnach der
Sohn, da er als Gott der Natur nach heilig ist. Wir sind aber von ihm durch den Geist
geheiligt worden. Wie entstammen nun alle einem? Wie einem Erschaffer oder Schöp‐
fer, so dass wir daher die Bruderschaft untereinander auch als notwendiges [Merkmal]
besitzen. Zwischen Entstandenem und Entstandenem besteht nämlich, insofern es
entstanden ist, eine natürliche Bruderschaft. Gleichwohl ist der Sohn im Hinblick auf
die Natur nicht entstanden und kein Bruder der Schöpfung, insofern er der Natur
nach Gott ist. Wie also entstammen alle einem, sowohl der Heiligende als auch die
Geheiligten? Zur Verdeutlichung des Vorliegenden ist nun die Aussage des mit dem
Fleisch verbundenen Heilsplans unentbehrlich. Als er damals nämlich wie wir gewor‐
den ist, da wird auch er selbst zusammen mit uns als einem entstammend bezeichnet
und heißt Bruder der Geschöpfe in dem Sinn, dass er die menschliche Verwandtschaft
mit uns erworben hat. Deshalb schämt er sich auch völlig zu Recht nicht, uns Brüder
zu nennen, wobei er es, wie mir jedenfalls scheint, nicht geduldet hätte, von denen, die
durch ihn entstanden sind, Bruder genannt zu werden, wenn er nicht wie sie geworden
wäre, ohne aber aufzugeben, was er war. Denn dann wird, ohne Anstoß zu erregen,
auch er selbst zusammen mit uns jenen preisen, den die Seraphim preisen und die
gesamte Schöpfung verehrt.