CV166: Kyrill, ‚Gegen Nestorius‘

Inhalt: Kyrill unterzieht die Christologie seines Gegners Nestorius einer groß angelegten Kritik. Zu diesem Zweck zitiert er zahlreiche ihm anstößig erscheinende Aussagen, die jener im Vorfeld getätigt hatte, und stellt diesen dann seine eigenen Ansichten gegenüber.

Edition: Collectio Vaticana 166, ACO I,1,6 S. 13,4–106,41; ältere Edd.: PG 76, Sp. 9–248; Pusey (1965 [= 1868–1877]), Bd. 6 S. 54–239

Verzeichnisnummern: CPG 5217

Verfasser: Kyrill von Alexandria

Datierung: spätestens Mitte 430

Lat. Übersetzungen:  –

Literatur: Pusey (1881), S. 1–184.

(5) Der selige Johannes, der Täufer, wird von den heiligen Engeln mit den Worten
angekündigt: Der Säugling „wird
schon vom Leib seiner Mutter an vom Heiligen Geist
erfüllt sein“;
und im Besitz des Geistes, so wird der selige Täufer geboren. Was nun?
Wirst du Elisabeth Geistesgebärerin nennen? Darauf fokussiere den Verstand! Und
wenn es einige unter euch gibt, die sich dem Gesagten gegenüber befremdet zeigen,
verzeiht ihnen den Mangel an Erfahrung.

Doch welcher Mensch, der solche Worte hört, wird nicht sofort das durch die Stim­
me des Propheten [Überlieferte] zitieren: „Der Tor wird Törichtes von sich geben,
und sein Herz wird Eitles ersinnen, um Gesetzloses zu vollbringen und Irrungen über
Gott auszusprechen.“
Irrung ist es nämlich der Übereinkunft nach und nichts anderes,
sein Vertrauen auf derart frostige und unausgereifte Gedanken zu setzen, als seien sie
wahr. Man mag also über ihn erstaunt sein wegen seiner Sanftmütigkeit. Er sagte
schließlich, dass jene, die über keine Erfahrung mit den von ihm [aufgestellten] Lehr­
sätzen verfügten, Nachsicht und Freundlichkeit verdienten.
War das doch auch von
uns selbst dreifach ersehnt, wenn es zuteil wird, und mehr noch auch von allen, die zu
den Christen zählen. Denn wie sollte es nicht allen nach Wunsch sein, sich von solch
schändlichen und verdrehten Worten zu befreien? Wir sagen jedoch Folgendes: Elisa­
beth hat ja dem Bekenntnis nach den seligen Täufer, der im Mutterleib vom Heiligen
Geist gesalbt wurde,
geboren. Wenn allerdings von der göttlich inspirierten Schrift
gesagt worden wäre, dass auch der Geist Fleisch geworden ist, hättest du zu Recht
behauptet, dass sie von uns Geistesgebärerin genannt werden müsste.
Wenn aber ge­
sagt wird, dass das Geborene einzig und allein durch die Salbung geehrt worden ist,
warum willst du [dann] den Vorgang der Fleischwerdung mit der auf Teilhabe beru­
henden Gnade gleichsetzen? Es ist schließlich nicht dasselbe zu sagen, der Logos sei
Fleisch geworden, und dass jemand durch den Geist mit prophetischem Geist gesalbt
worden ist. Über die heilige Jungfrau steht nämlich geschrieben: „Siehe, die Jungfrau
wird schwanger sein und einen Sohn gebären.“ Und jener, der geboren wurde, ist als
Geborenes und sogar als Immanuel bezeichnet worden, „was übersetzt heißt: Gott mit
uns.“
Über Elisabeth aber, dass sie einen Sohn gebären wird, der ‚vorangehen wird im
Geist und in der Kraft des Elija‘,
aber voranschreiten wird ‚vor dem Angesicht des
Herrn und seine Wege bereiten‘.
Also ist Elisabeth wohl keineswegs Geistesgebärerin.
Sie hat ja einen ‚Propheten des Höchsten‘ geboren. Die heilige Jungfrau ist allerdings
wahrhaftig Gottesgebärerin, weil sie fleischlich, also dem Fleisch nach einen mit
Fleisch geeinten Gott geboren hat. Da jene, die gebiert, ja Mensch ist, deswegen sagen
wir, und zwar durchaus mit Bedacht, dass sich die Art der Geburt auf menschliche
Weise vollzogen hat. So und auf keine andere Weise war es nämlich möglich, dass
derjenige, der über aller Natur steht, wie wir werden konnte, ohne dabei das zu ver­
nachlässigen, was er eigentlich ist. Woher auch? Er ist vielmehr geblieben, was er war,
ist und sein wird. Die göttliche und höchste Natur steht schließlich über dem Wandel.

Dass wir der Gewohnheit gemäß richtig denken, wenn wir versichern, dass Gott
dem Fleisch nach geboren worden ist zur Rettung der Welt, hat also die göttlich
inspirierte Schrift bezeugt. Da er aber seinen ganz und gar neuen Lehren die Wahrheit
und sogar das Bekenntnis des kirchlichen Glaubens gegenüberstellt, welches die Väter,
die sich vor Zeiten in Nizäa versammelt hatten, in wegweisender Erleuchtung durch
den Geist festgelegt haben, und er dabei fürchtet, dass einige nun irgendwie den ge­
sunden Glauben bewahren, wenn sie sich durch die Aussagen jener zur Wahrheit leiten
lassen, versucht er, [es] zu verunglimpfen und verändert die Aussage der Worte und
wagt es, selbst 〈die〉 Bedeutung der Gedanken falsch auszuweisen. Als er sich nämlich
persönlich mitten in der Gemeinde profaner neuer Ausdrücke bediente, wurde ein
gewisser Mann, der einer der wahrhaft Redlichen war und noch zu den Laien zählte,
jedoch eine wirklich bewundernswerte Bildung in sich angesammelt hatte, von leiden­
schaftlichem und gottgefälligem Eifer bewegt, schrie schrill auf und sagte, dass der
vorzeitliche Logos selbst eine zweite Geburt auf sich genommen habe, selbstredend
die dem Fleisch nach und durch eine Frau.
Als aber die Versammlung daraufhin lärmte
und die Mehrheit der Verständigen ihn mit nicht gerade gemäßigtem Beifall ehrte als
einen frommen und überaus verständigen [Mann], der nicht ohne Anteil an der Rich­
tigkeit der Lehren sei, die anderen aber gegen ihn wüteten, griff er [sc. Nestorius]
selbst ein und unterstützte umgehend jene, die er durch die Verbreitung seiner Lehre
vernichtet hatte. Gegen denjenigen, der seine Lehren nicht ertragen konnte, wetzte er
aber die Zunge und ebenso gegen die heiligen Väter, welche die fromme Definition des
Glaubens für uns verbindlich bestimmt hatten, ‚welchen wir als festen und zuverlässi­
gen Anker der Seele besitzen‘,
wie geschrieben steht.

I-5 | 1–6 Der … Erfahrung]

Vgl. Loofs, Nestoriana S. 352,15–21.

I-5 | 2–3 schon … sein]

Lk 1,15.

I-5 | 8–10 Der … auszusprechen]

Jes 32,6.

I-5 | 12–14 Er … verdienten]

Vgl. oben CV166,I,5,6.

I-5 | 18–19 der … wurde]

Vgl. Lk 1,15.

I-5 | 20–21 hättest … müsste]

Vgl. oben CV166,I,5,4.

I-5 | 26–29 Siehe … uns]

Vgl. Mt 1,23; Jes 7,14.

I-5 | 29–30 vorangehen … Elija]

Vgl. Lk 1,17.

I-5 | 30–31 vor … bereiten]

Vgl. Lk 1,76.

I-5 | 32 Propheten … Höchsten]

Vgl. Lk 1,76.

I-5 | 49–54 wurde … Frau]

Bei dem hier anonym erwähnten Mann handelt es sich wahrscheinlich um den in der Folge durchaus namhaft gewordenen Eusebius, der zu der in Rede stehenden Zeit noch Jurist in Konstantinopel war, später jedoch in den geistlichen Stand wechselte und schließlich Bischof von Dorylaeum wurde (vgl. z.B. Evagrius Eccl. hist. 1,9). Die ihm zugeschriebene, gegen Nestorius veröffentlichte Obtestatio ist ebenfalls in den Konzilsakten überliefert (CV18, ACO I,1,1 S. 101f. [Dok. 2]).

I-5 | 61–62 welchen … besitzen]

Hebr 6,19, wo sich das Relativpronomen jedoch auf die ἐλπίς und nicht auf die πίστις bezieht.

Die Akten des Konzils von Ephesus 431. Übersetzung, Einleitung, Kommentar

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