CV166: Kyrill, ‚Gegen Nestorius‘

Inhalt: Kyrill unterzieht die Christologie seines Gegners Nestorius einer groß angelegten Kritik. Zu diesem Zweck zitiert er zahlreiche ihm anstößig erscheinende Aussagen, die jener im Vorfeld getätigt hatte, und stellt diesen dann seine eigenen Ansichten gegenüber.

Edition: Collectio Vaticana 166, ACO I,1,6 S. 13,4–106,41; ältere Edd.: PG 76, Sp. 9–248; Pusey (1965 [= 1868–1877]), Bd. 6 S. 54–239

Verzeichnisnummern: CPG 5217

Verfasser: Kyrill von Alexandria

Datierung: spätestens Mitte 430

Lat. Übersetzungen:  –

Literatur: Pusey (1881), S. 1–184.

(7) 1. Wir müssen aber erkennen ([dies] kam [mir] nämlich gerade in den Sinn),
dass auch die Synode in Nizäa es niemals zu behaupten wagte, dass der Gott-〈Logos〉
von Maria geboren wurde. Sie sagte nämlich:
‚Wir glauben an einen Gott, den Vater,
den Allherrscher, und an einen Herrn Jesus Christus.‘
Achtet nun darauf, dass sie,
indem sie zuerst den Begriff Christus gesetzt haben, der eine Bezeichnung der zwei
Naturen ist, nicht sagten: an einen Gott-Logos, sondern den Begriff nahmen, der
beides bezeichnet, damit es nicht befremdet, wenn du im weiteren Verlauf ‚Tod‘ hörst,
damit es nicht, als ob die Gottheit dies erlitten hätte, das Ohr erschüttert, wenn du
‚den, der gekreuzigt und begraben worden ist‘ [hörst].

2. Dann fügt er dem hinzu: ‚Wir glauben an einen Herrn Jesus Christus, den einzig­
geborenen Sohn, den aus dem Vater gezeugten, den mit dem Vater Wesenseinen, den,
der
{aus den Himmeln} herabgestiegen ist unseretwegen und Fleisch geworden ist
durch den Heiligen Geist.‘
Sie sagten nicht: und gezeugt durch den Heiligen Geist.

3. Er sagt aber, dass die heiligen Väter, indem sie erklären, was das ‚den Fleisch Ge­
wordenen‘ eigentlich bedeutet, das ‚den Mensch Gewordenen‘ anführen. Was aber das
‚den Mensch Gewordenen‘ aussagen soll, erläuterte er selbst und sagte wiederum: Da
die eigene Natur nicht die Verwandlung in Fleisch auf sich genommen hat, sondern
die Einwohnung in einen Menschen.

Soll etwa irgendeiner, der zu den Christen zählt, die den Worten innewohnende
Dummheit oder die Gottlosigkeit der Überlegungen aushalten? Ist das für die wahr­
haft Verständigen vielleicht nicht eindeutig Possenreißerei und eine nicht unbedeu­
tende Form von Schwätzerei gegen Christus? Er redet schließlich die Wahrheit
schlecht. Er sagt, dass er [sc. der von Maria Geborene] nicht wahrhaft Sohn sei, und
weist dies einem anderen zu. ‚Achtet nun darauf‘, sagt er ja, ‚dass sie, indem sie zuerst
den Begriff Christus gesetzt haben, der eine Bezeichnung der zwei Naturen ist, nicht
sagten: Wir glauben an einen Gott-Logos.‘
Und was den Namen anbelangt, ‚Christus‘
meine ich, [so] werde ich in Kürze untersuchen, ob er eigentlich die zwei Naturen
bezeichnet oder nicht.
Das unmittelbar Vorliegende will ich aber, soweit möglich,
durchexerzieren. Was von ihm in seltsamer und unbedachter Art dahergeredet wird, ist
nun wohl in keiner Weise erträglich. Jemand, der das Wort für die heiligen Väter
ergreift, könnte aber wohl sagen: ‚Warum handelst du so, mein Guter, und lässt die
ungehobelte Zunge gegen heilige Männer los, denen zukommen sollte, dass [ihnen]
von unser aller Retter Christus persönlich gesagt wird: „Nicht ihr seid es, die ihr da
sprecht, sondern der Geist eures Vaters, der in euch spricht.“‘
Welches von den
Dingen, die in bewundernswerter Feinheit zugeschliffen sind, ist nämlich nicht be­
dacht worden? Welche von den notwendigen Lehren ist übersehen worden, oder
welche Art von Unsicherheit ist bei ihnen unbeachtet geblieben?

Sie haben es nicht gewagt, sagt er, den Worten über den Glauben beizufügen, dass
der Gott-Logos von Maria geboren wurde.

Wenn du also aus diesem Grund die vor uns Geborenen anklagst und behauptest,
Unbehagen zu empfinden, weil sie sich nicht genau deiner Begriffe bedient haben, sieh
zu, dass du gleich auch die heiligen Apostel und Evangelisten mit anklagst! Schließlich
haben sie die Bücher der geheimnisvollen Lehre über Christus verfasst, und man kann
am Text selbst wohl nicht zeigen, dass sie sich deiner Begriffe bedient haben! Doch,
wenn es dir richtig erscheint, lass dies als [unbedeutend] beiseite und beachte lieber,
dass sie die Erklärung des Gegenstandes hervorragend ausgearbeitet haben. Der
Glaube wird von uns nämlich im Hinblick auf die heilige und wesenseine Trinität hin
betrieben. Da sie aber sagen, dass sie an einen Gott glauben, den Vater, den Allherr­
scher, den Schöpfer alles Sichtbaren und Unsichtbaren, und an einen Herrn Jesus
Christus, seinen Sohn,
unserer Auffassung nach aber der Herr Jesus Christus kein
anderer ist im Vergleich mit dem einen von Natur aus und wahrhaft [existierenden]
Sohn, der aus Gott entstanden ist, und der Logos, der Gott ist, Mensch geworden ist
durch die Geburt, selbstverständlich die durch eine Frau, auf welche Weise sollen [da]
jene, die die Lehre des Heilsplans verkünden, nicht dabei aufgefunden werden, wie sie
über seine dem Fleisch nach durch eine Frau [stattfindende] Geburt sprechen? Zu
diesem Zeitpunkt erhielt nämlich der Logos, der Gott ist und Weisheit und Leben und
Licht, der Sohn, den Namen Christus Jesus. Es ist also offensichtlich, dass der Mo­
ment der so gearteten Benennung mit der Geburt, der durch die heilige Jungfrau
meine ich, eine zeitliche Übereinstimmung hat. Dass wir aber an Christus Jesus
glauben, an den einen von Natur aus und wahrhaft [existierenden] Sohn, wobei der
Glaube durch ihn auf den Vater zurückfällt, wird wohl deutlich, wenn er selbst der
gesamten Welt zuruft: „Wer an mich glaubt, glaubt nicht an mich, sondern an den, der
mich gesandt hat. Und wer mich sieht, sieht den, der mich gesandt hat.“
Und noch
einmal: „Glaubt an mich, und ihr glaubt an Gott.“ Und wir meinen nicht etwa, dass er
zwei Glauben von uns fordert. Er lehrt vielmehr, dass, wenn jemand den Glauben an
ihn annimmt, er zum Glauben an den Vater selbst gefunden hat.

Da er aber wahrscheinlich die begriffliche Übereinstimmung der Namen bemühen
wird, indem er darauf verweist, dass die Bezeichnungen Christus, Herr und eben auch
Sohn gemeinschaftlich sind, und versichern wird, dass sie dem aus dem Vater entstan­
denen Logos zukommen, auch wenn er für sich wahrgenommen wird und noch nicht
Anteil am Fleisch erhalten hatte, und ebenso dem aus der Jungfrau entstandenen
Tempel,
die Diskussion über dieses Thema aber, wie ich glaube, einer ausführlichen
Prüfung bedarf, wollen wir sie, wie ich sagte, für den Moment bis zu einer ihr im
Hinblick auf den Nutzen angemessenen Gelegenheit zurückstellen
und zu einer ande­
ren Aussage der heiligen Synode kommen, welche dieser Mann nach eigenem Gut­
dünken verdreht und der darin enthaltenen Wahrheit Gewalt antut. Er sagt nämlich,
dass die Väter geschrieben hätten: ‚Wir glauben an einen Herrn Jesus Christus, den
einziggeborenen Sohn, den mit dem Vater Wesenseinen, den, der herabgestiegen ist
unseretwegen und Fleisch geworden ist durch den Heiligen Geist.‘
Dem fügt er aber
hinzu und sagt über die heiligen Väter:

Im weiteren Verlauf erklären sie aber den Begriff ‚Mensch Gewordenen‘. Diesen
nennen wir ‚Fleisch Gewordenen‘, da die göttliche Natur nicht die Verwandlung in
Fleisch auf sich genommen hat, sondern die Einwohnung in einen Menschen.

Während einer 〈anderen〉 Erklärung hält er wiederum an demselben Gedanken fest
und spricht denn auch folgendermaßen:

I-7 | 1–9 Wir … hörst]

Vgl. Loofs, Nestoriana S. 295,2–12.

I-7 | 3–4 Wir … Christus]

Beginn des von Nestorius angekündigten Nizänums unter Auslassung der den Vater beschreibenden Formel πάντων ὁρατῶν τε καὶ ἀοράτων ποιητήν.

I-7 | 10–13 Dann … Geist‌²]

Vgl. Loofs, Nestoriana S. 296,1–6.

I-7 | 10–13 Wir … Geist‌¹]

Kurzer Bekenntnistext, der keine reine Kürzung des Nizänums darstellt, sondern, wenn man auf die Bekenntnisse der beiden vorangegangenen ökumenischen Konzile blickt, – vor allem in der Fleischwerdung aus dem Geist – auch Elemente des Konstantinopolitanums zu enthalten scheint. Zu diesem Bekenntnis, das Nestorius offenbar für das Nizänum hält, vgl. Kinzig (2017), §197; (2020), S. 457–489; (2021), S. 51–62.

I-7 | 12 aus … Himmeln]

Diese Formel wurde von Schwartz aufgrund des Vergleichs mit anderen Textzeugen dieser Nestoriusstelle athetiert, findet sich aber durchaus in anderen Bekenntnistexten wie z.B. dem Konstantinopolitanum.

I-7 | 14–18 Er … Menschen]

Vgl. Loofs, Nestoriana S. 296,6–9.

I-7 | 24–26 Achtet … Gott-Logos]
I-7 | 26–28 Und … nicht]

Vgl. z.B. unten CV166,II,1,1 – 2,77.

I-7 | 33–34 Nicht … spricht]

Mt 10,20.

I-7 | 38–39 Sie … wurde]
I-7 | 45 unbedeutend]

Im Text findet sich an dieser Stelle eine ca. elf Buchstaben breite Lücke, die der Schreiber vermutlich gelassen hat, da seine Vorlage an dieser Stelle nicht lesbar war. In der Übersetzung wurde nach der von Kyrill häufig verwendeten Formel παρεῖναι ὡς ἕωλον ergänzt. Schwartz schlägt stattdessen σεσιωπήμενον ἐκείνοις vor, für das es jedoch keine unmittelbaren Parallelen in den Schriften Kyrills gibt.

I-7 | 48–50 dass … Sohn]

Beinahe wörtliche Wiedergabe der ersten Zeilen des Nizänums.

I-7 | 62–63 Wer … hat‌²]

Joh 12,44f.

I-7 | 64 Glaubt … Gott]

Joh 14,1.

I-7 | 67–72 Da … Tempel]

Zu Äußerungen des Nestorius, auf die Kyrill mit dieser Prokatalepsis abzielen könnte, vgl. oben CV166,I,1,6 – 8 u. CV166,I,7,4 – 6; zur Kritik an der von Nestorius vertretenen Christologie der gemeinsamen Namen durch Kyrill s. auch CV150,20,1 – CV150,21,26, ACO I,1,5 S. 69,18–70,11 (Dok. 40).

I-7 | 73–74 wollen … zurückstellen]
I-7 | 77–79 Wir … Geist]
I-7 | 81–83 Im … Menschen]

Vgl. oben CV166,I,7,14 – 18, wo allerdings von der ‚eigenen‘ Natur die Rede ist, die sich nicht in Fleisch verwandelt haben soll, und nicht wie hier von der ‚göttlichen‘. S. aber Loofs, Nestoriana S. 296,8.

Die Akten des Konzils von Ephesus 431. Übersetzung, Einleitung, Kommentar

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