(8) Sie folgten dem Evangelisten. Denn als der Evangelist zur Menschwerdung
kam, vermied er es, in Bezug auf den Logos Gottes von Geburt zu sprechen und hat
[den Begriff] Fleischwerdung gesetzt. Wo? Vernimm es: „Und der Logos wurde
Fleisch.“ Er sagte nicht: ‚Er wurde durch Fleisch gezeugt.‘ Wenn nämlich die Apostel
oder die Evangelisten den Sohn erwähnen, halten sie fest, dass er von einer Frau gebo‐
ren wurde. Achte bitte auf das Gesagte: Wenn sie {nämlich} den Namen des Sohnes
nennen und sagen, dass er von einer Frau geboren wurde, setzen sie das ‚er wurde
geboren‘. Wenn sie aber den Logos erwähnen, wagt es keiner von ihnen von einer
Geburt durch die Menschheit zu sprechen. Wenn der selige Evangelist Johannes zum
Logos und dessen Menschwerdung kommt, vernimm, was er sagt: „Der Logos wurde
Fleisch.“
Wohlan! Lasst uns also, indem wir dem, was er sagte, auch die Darlegung des uns
geläufigen Bekenntnisses gegenüberstellen, sehen, ob nicht etwas von ihm auch daran
erneuert worden ist:
Wir glauben an einen Gott, Vater, Allherrscher, Schöpfer alles Sichtbaren und
Unsichtbaren; und an einen Herrn Jesus Christus, den Sohn Gottes, als Einziggebo‐
rener aus dem Vater gezeugt, das heißt aus seinem Wesen, Gott aus Gott, Licht aus
Licht, wahrer Gott aus wahrem Gott, gezeugt, nicht geschaffen, wesenseins mit dem
Vater, durch welchen alles entstanden ist, das im Himmel und das auf der Erde, den,
der um uns Menschen und unserer Rettung willen herabgestiegen und Fleisch gewor‐
den ist und Mensch geworden ist, der gelitten hat und am dritten Tage auferstanden
ist, der in den Himmel aufgestiegen ist, der kommt, um Lebende und Tote zu richten;
und an den heiligen Geist.
Auf nun, mein Guter, wo haben sie, sprich, über den Sohn festgelegt ‚Fleisch
geworden aus dem heiligen Geist und der Jungfrau Maria‘? Das wird er allerdings wohl
keineswegs zeigen können. Betrachte indes Folgendes: Sie sagen nämlich, dass der aus
Gott [gezeugte] Logos, der Einziggeborene, der aus dem Wesen des Vaters [Gezeug‐
te], derjenige, durch den alles entstanden ist, das wahre Licht, selbst Fleisch geworden
und Mensch geworden sei, dass er gelitten habe und auferstanden sei, und auch, dass
er zu gegebener Zeit als Richter wiederkommen wird. Auf dass wir aber, wenn wir
auch den von ihm getroffenen Aussagen eine sorgfältige Prüfung zukommen lassen,
sehen, welches Ausmaß der ihnen innewohnende Mangel an Bildung hat, bestätigt er
eindeutig, dass sie gesagt haben, der aus Gott [gezeugte] Logos sei Fleisch und
Mensch geworden, und schmückt sie in der Meinung, dass sie angemessen gesprochen
hätten, mit dem die Wahrheit bestätigenden Urteilsspruch. Verkünden sie nun, sag
mir, wenn sie sagen, dass [er] Fleisch und Mensch geworden ist, etwas anderes, als dass
[er] dem Fleisch nach geboren wurde? Schließlich kann diese Art der Fleischwerdung
ausschließlich nur dem zuteilwerden, der denn auch außerhalb des Fleisches schon
seiner eigenen Natur nach besteht. Denn niemand sagt wohl, dass das Fleisch Fleisch
geworden sei, und niemand wird wohl, was er war. Wenn man jedoch wahrnimmt, dass
an ihm eine dem Heilsplan folgende Umwandlung stattfindet zu etwas anderem ver‐
glichen mit dem, was er {nicht} war, erlangt der Begriff wohl in sich selbst dann
beachtliche Angemessenheit. Wenn sie also sagen, dass der Einziggeborene Fleisch
geworden ist, dies 〈aber〉 wohl, glaube ich, durch die fleischliche Geburt geschehen ist
und auf keine andere Weise, inwiefern haben sie nicht eindeutig gesagt, dass der
Logos, der Gott ist, dem Fleisch nach geboren worden ist?
Die Geburt ist jedoch, sagt er, nicht ausdrücklich genannt worden.Allerdings
kennt die Natur der Sache, wie ich zuvor bereits sagte, keinen anderen Weg der
Fleischwerdung, so dass wir, auch wenn es vielleicht bei solchen Dingen nicht aus‐
drücklich erwähnt wird, daneben nicht, indem wir den einzig der Natur bekannten
Weg verlassen, auf einen anderen kommen werden. In dem Buch Genesis steht ja
geschrieben: „Und dem Seth entstand ein Sohn, und er gab ihm den Namen Enosch.“
Sollen wir nun etwa, weil die Schrift den Begriff ‚entstand‘ gesetzt hat, nicht die
Verfahrensweise der Geburt annehmen? Wie wäre das nun nicht töricht? Die Natur
der Sache selbst wird uns nämlich gleichsam auch unwillkürlich zu der Übereinkunft
treiben, uns vorzustellen, dass er geboren wurde. Warum lässt er also, wenn er von der
Fleischwerdung hört, nicht umgehend die Vorstellungen, die mit der Geburt
verbunden sind, zu? Da aber sogar der Begriff ‚Menschwerdung‘ genannt worden ist:
Warum hat er nicht sogleich verstanden, dass der Gegenstand der Menschwerdung
wohl kaum zu einem Menschen passt, damit es nicht so aussieht, dass er eben etwas
geworden sei, was er war, sondern zu dem aus Gott entstandenen Logos? Wo dem
Glauben nach die Menschwerdung wohl tatsächlich stattgefunden hat, dort gibt es
gewiss die Geburt, durch welche man erkennen kann, dass er Mensch geworden ist.
Doch es scheint dir nicht richtig, dass man es auf eben diese Weise betrachten
muss, wenn gesagt wird, dass der Logos Gottes Fleisch und Mensch geworden ist. Du
sagtest ja wiederum, indem du dich anschicktest, dich gegen die Vorstellungen aller
aufzulehnen, dass die Menschwerdung keine Verwandlung der göttlichen Natur in
Fleisch bezeichne, sondern die Einwohnung in einen Menschen. Er sagt also, dass die
Veränderung der göttlichen Natur hin zu Fleisch nicht möglich und auf keine Weise
mit ihr vereinbar sei (und das vollkommen zu Recht; wir wollen ihn schließlich dafür
loben, sich in dieser Sache entschieden zu haben, das Richtige zu sagen, dass sie
nämlich unerschütterlich ist, meine ich, und dass sie sich nicht in etwas anderes ver‐
wandelt, was neben dem liegt, was sie dem Glauben nach ist). Dass seine Ausführung
aber das Angemessene und Wahre verfehlt hat, wenn er darauf besteht, dass die
Menschwerdung eine Einwohnung in den Menschen darstellt, will ich versuchen zu
beweisen.
Wenn nämlich der Vorgang einzig und allein im Falle des Immanuel wahrhaft
stattfindet, soll er den Grund darlegen (ich kann ihn nämlich nicht erkennen), oder
niemand wird ihn anderenfalls als bestimmende oder gesetzgebende Kraft in den
Dingen, die er ohne Überprüfung aussprechen will, ertragen. Doch die Kraft dessen,
was bestimmt worden ist, erstreckt sich vielleicht nicht [nur] auf eins. Sie wird nicht
herabgesetzt werden, auch wenn sie unter Umständen für alle gilt. Wir werden also
herausfinden, dass Gott nicht einmal Mensch geworden ist, sondern ziemlich häufig –
und keineswegs allein der aus Gott, dem Vater, [gezeugte] Logos; ich möchte ferner
auch den Vater persönlich und dazu noch den Heiligen Geist hinzusetzen. Er sagte
schließlich durch einen der heiligen Propheten über die im Glauben Gerechtfertigten:
„Ich will in ihnen wohnen und umherwandeln und will ihr Gott sein, und sie sollen
mein Volk sein.“ Es sagte aber auch Christus selbst: „Und wenn jemand auf mich hört,
werden ich und der Vater kommen und eine Bleibe bei ihm bereiten und in ihm
verweilen.“ An einer Stelle hat aber auch der überaus weise Paulus geschrieben: „Mose
war zwar als Diener in seinem [sc. Gottes] gesamten Haus treu zum Zeugnis dessen,
was gesagt werden sollte, Christus aber als Sohn über sein Haus, dessen Haus wir
sind.“ Und ebenfalls über den Heiligen Geist: „Ihr wisst nicht, dass ihr ein Tempel
Gottes seid und der Geist Gottes in euch wohnt.“ Wenn die Menschwerdung oder
eben die Fleischwerdung also bedeutet, dass man sagt, der Gott des Alls habe in eini‐
gen Menschen Wohnung genommen, soll über jeden einzelnen, der ‚Teilhaber der
göttlichen Natur‘ geworden ist und ihn auch als Einwohner besitzt, gesagt werden,
dass auch er Mensch geworden ist und darüber hinaus auch: Er ist Fleisch geworden.
Wenn dies nun geschehen und als wahr angenommen worden ist, wird man wohl
ziemlich häufig sagen können, dass der aus Gott, dem Vater, [gezeugte] Logos Fleisch
geworden ist und er soweit vielen, die ihn verehren, innewohnt.
Aber selbstverständlich, sagt er, steht über den Logos Gottes geschrieben: „Er
nahm Quartier in uns.“ Der Göttliches kündende Paulus sagte aber über unser aller
Retter Christus: „In ihm hat die ganze Fülle der Gottheit leiblich Wohnung genom‐
men.“ In der Tat hat er dem Bekenntnis nach in uns Quartier genommen. So steht es
schließlich geschrieben. Und auch [darin], dass er Wohnung genommen hat, werde ich
dir, wenn du es sagst, nichts entgegensetzen. Ich möchte vielmehr die Aussagen der
göttlich sprechenden Männer untersuchen. Nachdem der selige Evangelist zuvor:
„Und der Logos wurde Fleisch“, vorausgeschickt hatte, fügt er zweckdienlicherweise
den Satz: „Er nahm Quartier in uns“, hinzu, um durch beide Elemente die Erkenntnis
des Geheimnisses, das Christus betrifft, für uns unangreifbar zu machen. Dass näm‐
lich der aus Gott, dem Vater, [gezeugte] Logos hypostatisch mit dem Fleisch geeint
wurde, hat er eindeutig dadurch herausgestellt, dass er sagte, er sei Fleisch geworden.
Dass er aber, als er Fleisch geworden ist, nicht in die Natur des Fleisches übergegan‐
gen ist und dabei einen Wandel auf sich genommen hat hin zu dem, was er nicht war,
sondern im Wie-wir-Werden geblieben ist, was er war, macht er wiederum deutlich,
indem er dem ersten den Satz: „Er nahm Quartier unter uns“, hinzusetzte.Dass in
Christus die ganze Fülle der Gottheit leiblich Wohnung genommen habe, sagt aber
der Göttliches kündende Paulus, damit nicht jemand vermutet, die Wohnungsnahme
sei einfacher Natur oder verhältnisartig, sondern, wie ich gerade sagte, wahrhaft und
hypostatisch. Dass nämlich der Logos Gottes körperlos und unberührbar ist, wusste
der Träger des Geistes sehr wohl. Da es aber notwendig war, dass man die Offenba‐
rung des Geheimnisses in keiner Weise einem Tadel ausgesetzt sieht, sie vielmehr
gründlich und eindeutig im Hinblick auf das Rechte und Wahre ausfällt, so dass sie
über jedes Wunder hinausgeht, unterdrückt er das, was angemessen wäre, und über‐
sieht gleichsam das, was der körperlosen und höchsten Natur zukommt. Er hat näm‐
lich den Begriff ‚leiblich‘ hinzugefügt, da er nicht in der Lage war, auf andere Weise zu
sprechen, als es unserem Verstand und unserer Zunge möglich werden kann.
Glaube also nicht, dass er, wenn er die Einwohnung als einfach bezeichnet, er etwas
sagt, das nicht vehement zu verwerfen sei. Indem er nämlich, wie er zumindest glaubt,
und zwar in jugendlichem Ungestüm, die fleischliche Geburt des Sohnes umstürzt,
baut er sich eine Argumentation zusammen, die alten Weibern angemessen und unsin‐
nig ist und keine Grundlage hat, die der Wahrheit entspringt. Er schreibt nämlich auch
weiterhin in dieser Art. Seine Rede bezieht sich aber auf Arianer: