CV166: Kyrill, ‚Gegen Nestorius‘

Inhalt: Kyrill unterzieht die Christologie seines Gegners Nestorius einer groß angelegten Kritik. Zu diesem Zweck zitiert er zahlreiche ihm anstößig erscheinende Aussagen, die jener im Vorfeld getätigt hatte, und stellt diesen dann seine eigenen Ansichten gegenüber.

Edition: Collectio Vaticana 166, ACO I,1,6 S. 13,4–106,41; ältere Edd.: PG 76, Sp. 9–248; Pusey (1965 [= 1868–1877]), Bd. 6 S. 54–239

Verzeichnisnummern: CPG 5217

Verfasser: Kyrill von Alexandria

Datierung: spätestens Mitte 430

Lat. Übersetzungen:  –

Literatur: Pusey (1881), S. 1–184.

(12) Wegen des Tragenden verehre ich den Getragenen. Wegen des Verborgenen
verehre ich den Erscheinenden.

Achte mir wieder darauf, wie er die Einung auf jede Weise meidet, die Wahrheit
fürchtet und die Richtigkeit der göttlichen Lehren von sich weist! Derjenige, der trägt,
war kein anderer neben dem Getragenen, sondern vielmehr derselbe in dem Sinn, dass
er im Zusammenschluss von Gottheit und Menschheit als einziger und alleiniger wahr­
hafter Sohn Gottes, des Vaters, verstanden wird. Verehre also den aus Gott [gezeug­
ten] Logos zusammen mit dem eigenen Fleisch als einen! Sag es daher, falls ich dir
nicht angemessen zu denken scheine, wenn ich deine Spitzfindigkeit in dieser Sache als
unzureichend zurückweise! Wenn sich denn etwa einer dazu entscheiden sollte, über
einen der Menschen wie wir oder eben in Bezug auf einen der Könige auf Erden zu
sagen: ‚Wegen der Seele des Königs verehre ich dessen Leib. Wegen des Verborgenen
verehre ich den Erscheinenden‘, würde man nicht sofort den Vorwurf erheben: ‚Was
machst du da, Kerl?‘, und sagen, dass der Herrscher in jedem Fall ein Mensch ist, auch
wenn er sich als aus zwei [Elementen] zusammengesetzt zeigt, aus Seele und Leib,
meine ich? Was stammelst du uns also sinnlos daher, indem du einen Tragenden und
einen Getragenen, einen Verborgenen und einen Erscheinenden anführst und be­
kennst, [diesen] wie einen zusammen mit einem anderen zu verehren, und das Ver­
fahren der Einung missachtest, obwohl uns die göttlich inspirierte Schrift den aus
Gott, dem Vater, [gezeugten] Logos zusammen mit seinem eigenen Leib als einen
Christus und Herrn darstellt? Oder weißt du nicht, dass er in Jerusalem den von
Geburt an Blinden geheilt hat, diesen dann später am Heiligtum fand und ihm den
Glauben in fester und fundamentierter Form eingab? Er fragte nämlich, als er sich nä­
herte: „Glaubst du an den
Sohn Gottes?“ Und als jener darauf rief: „Wer ist es, Herr,
auf dass ich an ihn glauben werde?“, sagte er selbst wieder: „Und du hast ihn gesehen,
und derjenige, der mit dir spricht, ist jener.“
Siehst du, dass er nicht den Tragenden
präsentiert hat, nicht den innen Verborgenen, sondern sich selbst zusammen mit dem
Fleisch als einen? Und daher sagt auch der weise Johannes: „Was von Anfang an war,
was wir gehört haben, was wir mit unseren Augen gesehen haben, was wir anschauten
und unsere Hände betasteten, betrifft den Logos des Lebens.“
Das Göttliche ist
allerdings nicht berührbar. Der Logos ist jedoch gleichsam durch das eigene Fleisch
berührbar geworden – der Natur nach unsichtbar, aber er war evident durch den Leib.
Du aber nimmst wieder eine vollkommene Trennung vor und trickst die Wahrheit
durch Sophistereien aus, wenn du die Naturen teilst, die Verehrung aber, wie du sagst,
einst. Doch wenn du die Naturen teilst, gehen bei ihnen wohl auch die jeweils natur­
haft [bestehenden] Eigenheiten auseinander. Die Argumentation läuft auf die Unter­
scheidung hinaus. Zwei sind es also dem Bekenntnis nach.

Er soll allerdings dem Fragenden eine Antwort geben: Was ist es, das die Naturen
voneinander trennt, und was ist die Art des Unterschieds? Doch du wirst wohl
sicherlich sagen, dass der Mensch oder eben die Menschheit der Natur nach von einer
Art sei, Gott oder eben die Gottheit aber von anderer, und diese in unvergleichlicher
Weise über die andere erhaben, jene aber um so viel geringer sei wie ein Mensch
gegenüber Gott. Warum glaubst du also, sag es mir, mit einer Verehrung zu ehren, was
von seiner natürlichen Beschaffenheit her einander so ungleich und dem Grundsatz
der Wesensart nach durch unvergleichliche Unterschiede getrennt ist? Tust du denn
vielleicht etwas Lobenswertes, wenn du ein Pferd mit dem Ruhm eines Menschen
bekleidest? Oder beleidigst du vielmehr das Überlegene, indem du die bessere Natur
zu dem, was in keinem guten Ruf steht, herabziehst? Es ist jedoch etwas Kluges zur
Rechtfertigung von ihm erfunden worden. Er fügt nämlich hinzu:

II-12 | 1–2 Wegen‌¹ … Erscheinenden]

Vgl. Loofs, Nestoriana S. 262,3f., ebenfalls zit. in CV60,VIII, ACO I,1,2 S. 47,26–48,1 (dort in direktem Anschluss an die auch hier zuvor diskutierte Philipperstelle); XV, S, 49,19f. und anscheinend etwas freier CV6,6,1 – 2, ACO I,1,1 S. 37,3f. (Dok. 36).

II-12 | 21–26 Oder … jener]

Vgl. Joh 9,35–37.

II-12 | 24 Sohn Gottes]

τὸν υἱὸν τοῦ θεοῦ wie auch in einem Teil der NT-Handschriften. In der aktuellen Ausgabe (NA 28) steht stattdessen jedoch τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου.

II-12 | 28–30 Was … Lebens]

1 Joh 1,1.

Die Akten des Konzils von Ephesus 431. Übersetzung, Einleitung, Kommentar

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