(4) Doch wie wir den Schöpfer aller Dinge Gott nennen und Mose Gott [nennen]
(‚zum Gott des Pharao‘, heißt es ja, habe ich dich gemacht) und Israel Gottes Sohn
(‚mein erstgeborener Sohn‘, heißt es ja, ‚Israel‘) und wie wir Saul Christus nennen
(dass ich nicht, heißt es ja, ‚meine Hand an ihn‘ lege, ‚da er Gesalbter des Herrn ist‘)
und den Kyros ebenso (‚das sagt der Herr‘ ‚meinem Gesalbten Kyros‘) und den Baby‐
lonier heilig (ich, heißt es ja, will ihnen ‚befehlen. 〈Geheiligt sind sie und ich führe sie
an〉‘), so nennen wir auch den Herrn Christus, Gott, Sohn und heilig. Doch der
gemeinsame Anteil an den Namen ist zwar gleich, die Würde aber nicht dieselbe.
Was sagst du? Was für ein Gerede stößt du aus deinem Herzen auf und nicht aus
dem Munde des Herrn, wie geschrieben steht? Niemand nennt Jesus verflucht, wenn
nicht unter dem Einfluss von Beelzebub.Wie Mose von uns als Gott aufgefasst oder
angesprochen werden sollte, so auch Christus? Und auf Grundlage der Gleichheit mit
Israel soll er auch Sohn sein? Sag es mir! Was für eine Gottlosigkeit! Was für Äuße‐
rungen, die nicht davor halt machen, sich gegen die Herrlichkeit unseres Retters zu
erheben! Was für eine Begriffsstutzigkeit in Reinform! Sie setzt sich über jedes Zögern
hinweg – jenes Zögern, meine ich, das davorsteht, gegen die Lehren der Kirche in
gottloser Weise aufbegehren zu müssen. Der selige David soll auch in diesem Moment
singen: „Die Feinde des Herrn haben vor ihm gelogen.“Denn Mose, der Göttliches
kündende Mensch, war der Natur nach wie wir und nichts anderes. Als er aber,
nachdem Gott gesprochen hatte: „Nun los, ich will dich zum Pharao, dem König
Ägyptens, schicken, und du wirst die Söhne Israels aus Ägypten hinausführen“,die
Redeschwäche zum Anlass einer Abbitte nahm, und dass er ‚vorgestern‘ und ‚vor drei
Tagen‘ nicht gut im Reden gewesen sei, hörte er Gott sprechen: „Sieh her, ich habe
dich dem Pharao als Gott gegeben, und Aaron, dein Bruder, soll dir ein Sprachrohr
sein.“Das Gesetz war ja nicht in der Lage, Menschen aus der Knechtschaft unter dem
Teufel befreien zu können. Mit Christus als Vermittler ist dies aber bewerkstelligt
worden, wie freilich damals, indem Aaron dem Göttliches kündenden Mose zur Seite
stand, Israel aus der Knechtschaft in Ägypten befreit wurde. Da aber Christus
seinerzeit ebenfalls dem Gesetz unterworfen sein und wie wir und Mensch werden
sollte, ist Aaron gewissermaßen auf die zweite Stelle nach Mose gestellt worden. Und
das ist die Erklärung des Geheimnisses. Es sei denn, jemand entschiede sich, noch
Folgendes zu sagen: ‚Durch die Anrede ‚Gott‘ ist auch jener große Mose geehrt wor‐
den aufgrund dessen, was gemeingültig auch als Ausdruck einer Gnade und Ehre von
Gott zu uns gesagt worden ist: „Ich habe gesagt: Ihr seid alle Götter und Söhne des
Höchsten.“ Ist etwa so auch Christus Gott?‘ Doch in welcher Hinsicht wäre das nicht
Wahnsinn und hohler Abschaum eines ungelehrigen Geistes?
Der eine ist nämlich, wie ich sagte, allein durch die bloße Anrede geehrt worden,
während er der Natur nach Mensch war. Der andere ist aber wahrhaft Gott. Denn der
Logos war Gott in menschlicher Gestalt, wobei er die gegenüber allem [bestehende]
Überlegenheit der eigenen Natur ohne Beeinträchtigung bewahrte. Die göttliche
Natur fällt wohl schließlich keinen Wandlungen anheim, die zum Schlechteren führen,
weil sie in eine Gemeinschaft mit Blut und Fleisch herabgestiegen ist. Und er wird
daher als Gott erkannt, auch wenn er sich als Mensch zeigt. Und der eindeutige Be‐
weis dafür ist, was in den Evangelien über ihn geschrieben worden ist. Der Göttliches
kündende Johannes sagte nämlich: „Als er aber in Jerusalem war zu dem Fest,
begannen viele an seinen Namen zu glauben, weil sie seine Zeichen sahen, die er tat.
Jesus selbst vertraute sich ihnen aber nicht an, weil er jeden kannte und weil er es nicht
nötig hatte, dass jemand Zeugnis über den Menschen ablege. Er erkannte schließlich
selbst, was in dem Menschen war.“ In das Herz eines Menschen hineinsehen zu
können und das Verborgene zu kennen, kommt allerdings wohl keinem Menschen zu
– woher denn? –, keinem der Unsrigen und wohl auch keinem anderen unter den
Dingen, die geschaffen worden sind, sondern vielmehr allein jenem, von dem gesagt
wird, dass er unsere Herzen auch Stück für Stück gestaltet habe.Inwiefern ist ferner
der Immanuel, wenn er als Gott bezeichnet wird, in Entsprechung zu Mose allein
durch die bloße Anrede geehrt worden und existiert nicht vielmehr wahrheitsgemäß
als das, was er ist und man über ihn sagt? Johannes schreibt aber weiterhin Folgendes
über ihn: „Wen Gott nämlich entsandt hat, der spricht die Worte Gottes, und nicht aus
dem Messgefäß gibt er den Geist.“ Verstehst du nun, wie er, obwohl er als Mensch wie
wir erscheint, die Worte Gottes spricht? Gott allein, dem der Natur nach und
wahrhaft [existierenden], kommt es nämlich wohl als etwas, das auserlesen ist und
über der Schöpfung [steht], zu, dass er sogar mit einem Wort das, was nach seinem
Sinn ist, ins Werk setzen und jene, die im Glauben gerechtfertigt sind,zu Teilhabern
des Heiligen Geistes machen kann. Man kann daran aber wohl sehen, dass er Christus
ist. Er sagte ja zu dem Leprakranken: „Ich will. Werde rein!“ Zu dem Sohn der Witwe
aber: „Junge, ich sage dir, steh auf!“ Und zu Teilhabern des Heiligen Geistes machte er
seine eigenen Jünger. Er ‚blies‘ sie nämlich ‚an‘ und sagte: „Empfangt den Heiligen
Geist!“ In welcher Weise sollte also derjenige, der bis zu diesem Punkt gekommen und
mit gottgebührendem Ruhm bekränzt ist, in solcher Art Gott sein wie zum Beispiel
auch Mose? Wessen Herz hat er erkannt?Wer hat zum Glauben an seinen Namen
gefunden?Wen hat er durch den Glauben an ihn gerechtfertigt?Wo hat er als Sohn
Gottes Worte gesprochen? Stattdessen sieht man ihn, wie er denen aus Israel zuruft:
„Das sagt der Herr“, und das Maß eines Bediensteten hat. Er ist schließlich als Diener
im Hause Gottes treu gewesen.
Wenn aber der Immanuel ebenfalls auf die Weise Sohn ist, wie auch Israel, das es
dem Fleisch nach geworden ist, hast du den der eigenen Natur nach Freien unter die
Knechte gestellt, obwohl er um des Fleisches willen und der ihm zugehörigen Dinge
〈in〉 die Gestalt eines Knechtes gekommen ist. Du hast denjenigen in das gleiche Maß
gesetzt wie die gnadenmäßigen Söhne, durch den jene an der Gnade der Annahme als
Söhne reich geworden sind. Er heißt schließlich um des Menschlichen willen unser
Erstgeborener. Allerdings ist er als Gott auch unter diesen Bedingungen Einziggebore‐
ner geblieben. Deshalb werden doch, wie der überaus weise Paulus sagt, die Mächte in
der Höhe angewiesen, den Erstgeborenen, wenn er vom Vater in die Welt eingeführt
wird, zu verehren. Und da sie das Geheimnis, das ihn umgibt, kennen, ehren sie den
einen von Natur aus und wahrhaft [existierenden] Sohn mit nicht endendem Lobpreis.
Wenn er nämlich denen, die ihn angenommen haben, die Vollmacht verleiht, Kinder
Gottes zu werden, dem Spruch des Johannes nach, und wenn es denn zutrifft, dass
sein Geist auch uns selbst zu Söhnen macht (‚Gott hat ja den Geist seines Sohnes in
unsere Herzen entsandt, der da ruft: Abba, Vater‘), erträgt es wohl niemand unter de‐
nen, die es gewohnt sind, richtig zu denken, wenn dieser Mann sagt, er [sc. Christus]
sei ebenfalls so Sohn wie Israel.
Inwiefern sind aber Kyros, der die Königsherrschaft über die Perser erlangt hat,
und eben auch die Perser und Meder selbst auf die Weise ‚gesalbt‘ und heilig, wie wohl
von Christus gesagt wird? Achte nämlich darauf, dass es nicht heißt, dass Christus auf
menschliche Weise geheiligt wurde, auch wenn der Heilige Geist in Gestalt einer
Taube auf ihn herabgeflogen ist. Kyros, der Sohn des Kambyses, fiel nämlich seinerzeit
in das Land der Babylonier ein. Er schlug aber den falschen Weg ein und ließ die
Verehrung den unreinen Dämonen angedeihen. Als er aber, da Gott ihn zum Zorn
angestiftet und aufgereizt hatte, das Land der Babylonier einnahm, ist er mit der allge‐
meinen Bezeichnung als ‚Gesalbter‘ tituliert worden, obwohl er nicht vom Heiligen
Geist gesalbt worden ist. Und auf nämliche Weise sind die Perser und Meder, die ihm
im Kampf zur Seite standen, heilig. Auch jene haben ja der Schöpfung anstelle Gottes,
des Schöpfers, gedient und die Werke der eigenen Hände verehrt. Da aber auch einmal
den im mosaischen Gesetz [enthaltenen] Aussagen nach das von Gott bestimmte
Opfer, sei es nun ein Kalb oder vielleicht ein Schaf, heilig genannt wird, deswegen sind
sie auch durch die Stimme des Propheten heilig genannt worden, weil sie durch die
göttlichen Winke dazu bestimmt worden sind, Babylon einzunehmen. Wenn also der
Immanuel auf die Weise ‚gesalbt‘ ist wie auch Kyros und auf die Weise ‚heilig‘ wie auch
die Meder und Perser, könnte man wohl zu Recht sagen, dass er infolge der Abwe‐
gigkeit der Erwägungen weder vom Heiligen Geist gesalbt noch selbst heilig ist. Unser
göttlicher David spräche also falsch, wenn er an einer Stelle zu uns sagt: „Du liebtest
die Gerechtigkeit und hasstest die Ungerechtigkeit. Deshalb hat dich Gott, dein Gott,
mit dem Öl der Freude gesalbt vor deinen Genossen.“
Nachdem er aber auf diese Weise gegen die Überlegenheit und die Herrlichkeit des
Retters dahergeredet hat, scheint es ihm angebracht, die Vorwürfe, die aus den Läste‐
rungen entstanden sind, zu entkräften, indem er etwas Unreifes und Unverständiges
sagt: ‚Der gemeinsame Anteil‘, sagt er, ‚an den Namen ist zwar gleich, die Würde aber
nicht dieselbe.‘ Wie bitte? Erklär es mir! Ich kann es nämlich nicht verstehen. Denn
wenn er auf die Weise Gott ist wie wohl auch Mose und auf die Weise Sohn wie Israel
und auf die Weise ‚Gesalbter‘ wie Kyros und auch noch auf die Weise heilig wie die
Meder, wie sollte er [dann] dem entkommen, auch auf der gleichen Stufe der Würde
mit ihnen stehen zu müssen. Er wird nun aber überführt, auch gegen die Natur des
Logos selbst in frevelhafter Weise gesprochen zu haben. Er sagte nämlich wiederum: