CV166: Kyrill, ‚Gegen Nestorius‘

Inhalt: Kyrill unterzieht die Christologie seines Gegners Nestorius einer groß angelegten Kritik. Zu diesem Zweck zitiert er zahlreiche ihm anstößig erscheinende Aussagen, die jener im Vorfeld getätigt hatte, und stellt diesen dann seine eigenen Ansichten gegenüber.

Edition: Collectio Vaticana 166, ACO I,1,6 S. 13,4–106,41; ältere Edd.: PG 76, Sp. 9–248; Pusey (1965 [= 1868–1877]), Bd. 6 S. 54–239

Verzeichnisnummern: CPG 5217

Verfasser: Kyrill von Alexandria

Datierung: spätestens Mitte 430

Lat. Übersetzungen:  –

Literatur: Pusey (1881), S. 1–184.

(1) 1. Wenn sie nämlich den Begriff ‚Apostel‘ hören, fassen sie den Gott-Logos als
Apostel auf. Wenn sie die Bezeichnung ‚Hohepriester‘ lesen,
stellen sie sich den
Hohepriester in einer Form unglaublicher Geisteskrankheit als Gottheit vor.
Wer
nämlich, der vom Dienst eines Apostels erfahren hat, hat nicht umgehend erkannt,
dass ein Mensch damit gemeint ist? Wer, der die Benennung ‚Hohepriester‘ hört, wird
wohl den Hohepriester für eine Wesenheit von Göttlichkeit halten? Wenn die Gott­
heit nämlich Hohepriester ist, wer ist [dann] derjenige, der durch den Dienst, der vom
Amt des Hohepriesters geleistet wird, versorgt wird? Wenn derjenige, der darbringt,
Gott ist, gibt es niemanden, dem dargebracht wird. Welchen Wert hat es für die Gott­
heit, dass sie die Darbringung wie ein Geringerer an einem Höheren vollzieht?

2. Dem fügt er aber hinzu: Weshalb glaubt man bei ihnen also, dass Gott nun Ho­
hepriester genannt wird, wo er doch das Opfer nicht zum eigenen Gedeihen wie die
Hohepriester nötig hat?
Wer als Besitzer der Gottheit ‚aus den Menschen‘ genommen
worden ist, ‚wird für die Menschen eingesetzt im Blick auf das Verhältnis zu Gott‘.

Du sagst also, dass der Logos Gottes nicht in diese Welt ausgesandt worden sei?
Der überaus weise Paulus hat demnach also jene, die durch ihn berufen worden sind,
vermutlich betrogen. Schließlich sagte er: „Gott sandte seinen Sohn aus, entstanden
aus einer Frau, dem Gesetz unterworfen.“
Und auch der selige David wird deiner
Auffassung nach dabei ertappt, wie er nach Belieben dichtet und das Unerreichbare
erstrebt. Er sagt nämlich an einer Stelle zu Gott, dem Vater, in den Himmeln: „Sende
dein Licht und deine Wahrheit aus!“
Was nun? Sag es mir! Spricht nicht sogar der
Sohn persönlich vielleicht falsch, wenn er an einer Stelle sagt: „Gott hat den Sohn
nämlich nicht in die Welt ausgesandt, auf dass er die Welt richte, sondern auf dass die
Welt durch ihn gerettet werde“?
Und dann wieder: „Ich bin vom Vater ausgegangen
und gekommen“?
Und an einer Stelle schreibt der weise Johannes über ihn: „Wer aber
sein Zeugnis annimmt, der hat besiegelt, dass Gott wahrhaft ist. Wen Gott nämlich
ausgesandt hat, der spricht die Worte Gottes.“
Wir sagen hingegen, dass der Logos
Gottes ausgesandt worden ist und sowohl den Titel des Apostolats als auch das Amt
zusammen mit den Maßen der Entäußerung innehat. Aus welchem Grund fürchtest
du dich aber törichterweise und errötest dabei, ihm den Titel und das Amt des Apos­
tolats und der Hohepriesterschaft zuzuweisen? Hast du denn etwa vermutet, [sie]
würden zu einem Menschen, der von einer Frau [geboren wurde], wie zu einem ande­
ren neben ihm passen, [einem Menschen], der deiner Meinung nach eine bloße Ver­
bindung hat, und zwar auf Grundlage einer Gleichheit allein an Würde? Inwiefern
wird der Logos, der Gott ist, demnach noch als unserer Sache förderlich angesehen,
wenn auch wir durch einen anderen Gott, dem Vater, dargebracht worden sind? 
Schließlich haben wir nicht mehr ‚durch ihn den Zugang‘ erhalten,sondern er ist als
Mensch wie wir unser Mittler geworden,
während er den Titel der Gottheit als falsches
Etikett trägt.

‚Aber sicher‘, sagt er, ‚es wäre wohl kümmerlich für den aus Gott, dem Vater,
entstandenen Logos, Opferdienste zu leisten.‘ Zugestandenermaßen kümmerlich! Ich
will dir nämlich beipflichten, da du der Wahrheit zur Geltung verhilfst. Aber nicht,
indem er von der bloßen Gottheit Gebrauch machte, erschien er den [Menschen] auf
der Erde, sondern vielmehr, indem er Mensch wie wir geworden ist, für den der Opfer­
dienst eine große und auserlesene Angelegenheit ist. Wenn er es nämlich ablehnen
sollte, Opferdienste zu leisten als etwas, das einem Menschen zukommt oder einem
anderen, der mit dem Maß der Knechtschaft ausgestattet ist, inwiefern wäre es [da]
nicht bei weitem besser gewesen, davor schon die Menschwerdung abzulehnen. Doch
er hielt die Geburt unseretwegen nicht für verwerflich. Der da jedoch schämt sich, wie
ich sagte, vor der Wahrheit
und erweist sich selbst dabei als unklug und unkundig, wo
doch der selige Paulus sagt: „Ich schäme mich des Evangeliums nicht. Denn die Macht
Gottes gereicht jedem Glaubenden zur Rettung.“
Man mag sich darüber wundern,
dass der Logos Gottes wegen der Rettung und des Lebens aller es auf sich genommen
hat, eine so schwere Erniedrigung zu erfahren, dass sich – ich weiß nicht, warum – der
Erfinder der in unseren Augen unüberlegten Lehren schämt, sie auch nur zu beken­
nen, wo es doch nötig wäre, ihn [sc. Christus] dafür zu bewundern und zusammen
mit dem seligen Propheten auszurufen: „Herr, ich habe deine Kunde gehört und war
in Furcht. Ich habe deine Werke wahrgenommen und war außer mir.“
Da es ihm aber,
obwohl sich in gewisser Weise die gesamte göttlich inspirierte Schrift gegen ihn er­
hebt, sie ihm die Wahrheit entgegenstellt und ihm zeigt, dass die Aussage, auf die sich
seine eigenen Erfindungen stützen, frostig und substanzlos ist und von keiner Seite
unterstützt wird, in nicht unbeträchtlichem Maße an Gedanken und Untersuchungen
gemangelt hat, die zur Richtigkeit und zur Wahrheit führen, deshalb wird er dabei
ertappt, wie er Dinge denkt oder sagt, die unter jenen, denen ein Zeugnis für die Rich­
tigkeit in der Lehre ausgestellt worden ist, niemand jemals [gedacht oder gesagt hat].
Dies macht er zu den Ausgangspunkten seiner Argumentation, kämpft mit Schatten
und strengt sich umsonst an, weil niemand in Opposition geht oder mit ihm über die­
se Dinge streiten möchte. Und das ist, glaube ich, das bekannte ‚In-die-Luft-
Schlagen.‘
Er sagte nämlich:

Wer nämlich, der vom Dienst eines Apostels erfahren hat, hat nicht umgehend
erkannt, dass ein Mensch damit gemeint ist? Wer, der die Benennung ‚Hohepriester‘
hört, wird 〈wohl〉 den Hohepriester für eine Wesenheit von Göttlichkeit halten?

Wenn es also niemanden gibt, der das sagt, mit welchen Leuten, sag es mir, streitest
du [dann]? Und wem glaubst du in der Meinung, dass du das, was durch den Be­
schluss aller verurteilt worden ist, als einziger umstößt, den Widerstand vermutlich
auch noch in verdienstvoller Weise zu leisten? Inwiefern trifft es indes nicht zu, dass
du, obwohl niemand dies behauptet, an die Öffentlichkeit bringst, was besser ver­
schwiegen werden und nicht mit den Seelen der einfacheren Menschen in Berührung
kommen sollte? Wer ist denn so umnebelt, dass er den Hohepriester für eine Wesen­
heit von Göttlichkeit hält? Aaron war ein Mensch, auch wenn es ihm mit der gött­
lichen Priesterschaft zuteil geworden ist, die anderen zu überragen. Warum sollte also
jemand den Hohepriester für ein Wesen von Göttlichkeit halten? Oder wie sollte man
nicht in wirklich jeder Hinsicht zustimmen, dass ein Mensch erwähnt wird, wenn uns
gegenüber der Bruder des Mose in seiner Eigenschaft als Hohepriester genannt wird?
Indem er jedoch den Begriff als irgendeinen gewöhnlichen bestimmt, der sich auf
jeden Hohepriester unter den Unsrigen bezieht und [ihm] angemessen ist, macht er
sich daran, das Moment des Unbegreiflichen an dem in Christus geschauten Heilsplan
zu schwächen, und wagt es, unser göttliches Geheimnis gleichsam in eben seinen
Grundfesten zu erschüttern, ohne dabei zu bedenken, dass Christus die Kirche auf
Fels gegründet hat ‚und die Pforten des Hades sie nicht überwältigen werden‘.
Er hält
nämlich keineswegs etwas davon, der allgemein gültigen Ansicht zu folgen, die alle
teilen, die es gewohnt sind, richtig zu denken. Er führt auch im Alleingang das, was
ihm richtig erscheint, ohne Prüfung als Neuerung ein. Wir sagen nämlich, wie ich be­
reits erklärt habe, dass der aus Gott, dem Vater, [gezeugte] Logos, nachdem er Mensch
geworden ist, sich selbst und dem Vater das Bekenntnis unseres Glaubens dargebracht
 
und den Heilsplan, der auf die Maße der Entäußerung zugeschnitten und in keiner
Weise nicht zu ihnen passt, erfüllt hat. Für jenen jedoch scheint es sich nicht so zu
verhalten. Indem er stattdessen den von der heiligen Jungfrau [Geborenen] für sich
und separat beiseite nimmt, als ob er ein anderer Christus wäre, der neben dem aus
Gott, dem Vater, [gezeugten] Logos existiert, behauptet er, dass ebendieser zum Apos­
tel und Hohepriester unseres Bekenntnisses geworden sei. Er glaubt auch, 〈etwas〉 von
den Dingen, die zur Frömmigkeit führen, zu denken, wenn er Folgendes sagt:

Wenn derjenige, der darbringt, Gott ist, gibt es niemanden, dem dargebracht wird.
Welchen Wert hat es für die Gottheit, dass sie die Darbringung wie ein Geringerer an
einem Höheren vollzieht?

Wenn es jedoch jemanden gäbe, der behauptete und sagte, dass der aus Gott, dem
Vater, [gezeugte] Logos in der Tat für sich noch vor der Menschwerdung dem Opfer­
dienst zugeteilt worden sei und in den Maßen eines Dienenden existiere und aus die­
sem Grund Hohepriester und Apostel genannt werden muss, hätte er [sc. Nestorius]
einen klugen Vorwurf eingebracht, und man könnte wohl sagen, dass die Schlussfol­
gerung in dieser Sache von ihm ordnungsgemäß getroffen worden sei. Schließlich hat
die das All beherrschende Natur keinen Mangel an Opferpriestern, so dass sie sich
selbst dienen müsste. Da sich aber der Einziggeborene, der von Natur aus Gott ist und
die Dienste derjenigen, die Priester sind, entgegennimmt, in das Maß jener, die zum
priesterlichen Dienst bestimmt sind, hinabbegeben hat, indem er Mensch geworden
ist, wie ich sagte,
geschieht wohl nichts Ungebührliches, wenn er von uns auch Hohe­
priester genannt werden sollte. Oder ist er nicht in Gestalt eines Knechtes hinab­
gestiegen, also ‚indem er die Gestalt eines Knechtes annahm‘,obwohl er ‚Abdruck‘
und ‚Abglanz der Herrlichkeit‘ des Vaters ist?
Niemand sollte [daran] zweifeln. Wenn
nun derjenige, der als Gott der eigenen Natur nach frei ist,der in Gestalt des
Erzeugers und in Gleichheit zu ihm [existiert],
Knecht heißt, weil er das Maß derer,
die unter dem Joch der Knechtschaft stehen, in Übereinstimmung mit dem Heilsplan
nicht von sich weist, weswegen fürchtest du dich davor, ihn um des Menschlichen
willen auch Hohepriester zu nennen? Er weiht uns zum wohlriechenden Opfer durch
den Glauben und hat sich selbst für uns als fein duftendes Räucherwerk dem Vater
dargebracht.
Dieser aber fügt dem, ohne zu wissen, was er sagt, direkt hinzu:

Weshalb glaubt man bei ihnen also, dass Gott nun Hohepriester genannt wird, wo
er doch das Opfer nicht zum eigenen Gedeihen wie die Hohepriester nötig hat? Wer
als Besitzer der Gottheit ‚aus den Menschen‘ genommen worden ist, ‚wird für die
Menschen eingesetzt im Blick auf das Verhältnis zu Gott‘.

Weshalb oder aus welchem Grund Christus, also der aus Gott [gezeugte] Logos,
der Mensch geworden ist, nun Apostel und Hohepriester genannt wird, hat uns die
Argumentation soeben in ausreichender Weise gezeigt. Ich glaube jedoch, dass man
seine sonderbare und fremdartige Aussage nicht ungeprüft lassen darf. Nennt er denn
etwa den aus Gott [gezeugten] Logos auch ‚Besitzer der Gottheit‘, wenn ihn jemand
separat und vom Fleisch getrennt verstehen möchte? Bestimmt er also dessen Gottheit
als etwas im Vergleich zu ihm anderes, dessen – ich weiß nicht, wie – Besitzer er, wie
er selbst sagt, geworden ist in dem Sinn, dass sie von außen hinzugenommen worden
und {ihm} zusätzlich zuteil geworden ist, obwohl er an sich der Natur nach zu einer
Zeit {nicht} Gott gewesen ist, wie der Spruch von jener ursprünglichen Frau, der Eva
meine ich, lautet, als sie Seth gebar: „Wir haben einen Menschen durch Gott in Besitz
genommen“?
Doch ich glaube, das ist für ihn und für alle in jeder Hinsicht verwerf­
lich. Warum redet er also in falscher Weise und lässt unverständige Bemerkungen in so
wesentlichen Angelegenheiten fallen? Oder handelt man sich nicht Gelächter und eine
Anklage, die auf ‚Geisteskrankheit‘ lautet, ein, wenn man einen der Unsrigen Besitzer
der Menschheit oder das Pferd den der Pferdheit nennen wollte? Wer ist also letzt­
endlich der Besitzer der Gottheit, der ‚aus den Menschen genommen ist‘ und ‚einge­
setzt wird im Blick auf das Verhältnis zu Gott‘? Vielleicht wird er, indem er den einen
Christus in zwei aufteilt, den von der heiligen Jungfrau [Geborenen] nennen. Er ist ja
irgendwie dahin gedreht worden, und das ist jetzt seine Blickrichtung. Die Gottheit ist
also zum Besitz eines Menschen geworden, sag es mir, und es ist einem der Unsrigen
widerfahren, von Natur aus und in Wahrheit Gott zu werden und Reichtum zu erlan­
gen an der Überlegenheit des allerhöchsten und erhabensten Wesens? Fort mit diesem
Denkfehler, Mensch! Denn keiner unter denen, die zu den gewordenen Dingen zäh­
len, wird wohl die Natur der Gottheit als etwas Eigenes besitzen. Eigen war der Leib
dem Logos, und als einen Gott, Christus, Sohn und Herrn hat [ihn] die Schöpfung
zusammen mit ihm verehrt, und die Himmel preisen [ihn] und gemeinsam mit ihnen
auch wir. Wie nämlich der Prophet sagt: „Seine Vollkommenheit verdeckte die Him­
mel, und die Erde ist voll seines Lobes“,
und zwar nicht, weil er als Mensch die Gott­
heit erworben hätte. Wie denn auch oder woher? Sondern weil der aus Gott, dem
Vater, gezeugte Logos durch Hinzunahme des Fleisches Mensch geworden ist.

Doch soll für den Moment derjenige, ‚der aus den Menschen genommen ist‘, der
Besitzer der Gottheit sein, wie es deinem Gutdünken entspricht. In welcher Hinsicht
‚wird er im Blick auf das Verhältnis zu Gott eingesetzt‘, also als Hohepriester? Wird er
also der Gottheit, die er erworben hat, entkleidet das Priesteramt für Gott ausüben
oder, indem er diese schon irgendwie als eigenes Gut besitzt? Das nämlich, glaube ich,
und nichts anderes bedeutet es nämlich, wenn man sagt, dass er erworben habe. Doch
wenn als Entkleideter, hat er nicht erworben. Wenn aber, indem er sie als eigenes Gut
besitzt, wird wohl in jedem Fall die Gottheit das Priesteramt für Gott ausüben.
Warum läufst du also in die Irre und stellst alles auf den Kopf und errötest nicht, wenn
du die Überlieferung des Glaubens verfälschst? Der aus Gott, dem Vater, [gezeugte]
Logos hat eine zwingende Begründung, auch wenn man sagt, dass er das Priesteramt
für Gott ausübe. Schließlich heißt er nicht ohne das Fleisch Priester, sondern, weil er
wie wir geworden ist, wie ich sagte, denen der Stolz der Priesterschaft sogar als Zei­
chen des Ruhms angerechnet wird.

Auch auf andere Weise ist es nicht schwer zu erkennen, dass es zu den allzu abwegi­
gen Dingen zählt und voll ausnehmender Dummheit ist, wenn man sagt, dass ‚der aus
den Menschen Genommene und im Blick auf das Verhältnis zu Gott Eingesetzte‘
Besitzer der Gottheit ist. Wenn er nämlich von Gott genommen wurde, auf welche
Weise hat der [dann] die Natur, die ihn angenommen hat, erworben? Denn das Ange­
nommene wird doch wohl vielmehr dem Nehmenden wie ein Besitz gehören und
nicht selbst das besitzen, was hinzugenommen hat, wie ich zum Beispiel etwa sage:
Jemand ist zum Besitzer von Reichtum geworden oder eben von einer Kenntnis, die
sich auf einen beliebigen Gegenstand bezieht. Ist es etwa nicht allen klar, dass er selbst
nicht Besitz des Reichtums sein wird oder eben der ihm zuteil gewordenen Kenntnis,
sondern er vielmehr das, was hinzugenommen ist, in Besitz nehmen wird. Das steht
doch, glaube ich, in keiner Weise in Zweifel. Wenn wir also die Art und Weise der
Menschwerdung des Einziggeborenen untersuchen und dabei herausfinden, dass ein
Mensch gleichsam durch Hinzunahme von Gottheit Gott geworden ist, soll er nach
dir Besitzer der Gottheit genannt werden, denn die Gottheit ist die seine geworden.
Wenn aber der Logos, der Gott ist, ‚die Nachkommenschaft Abrahams‘ angenommen
hat
und, obwohl er in Gestalt des Vaters existierte, Mensch geworden ist, indem er die
Gestalt eines Knechtes annahm,
wie sollte es [da] kein Ausdruck von Umnebelung
sein, wenn jemand sagen wollte, dass das Angenommene die Natur, die es [als Objekt]
angenommen hat, in Besitz genommen hat, und nicht vielmehr, dass es selbst Eigen­
tum derjenigen, die angenommen hat, geworden ist.

Dass er aber den Inhalt seiner eigenen Äußerungen und Erfindungen und sogar
den Begriff der Hohepriesterschaft selbst törichterweise einfach auf einen Menschen
überträgt, den von einer Frau [geborenen], und ihn dabei von dem einziggeborenen
und aus dem Vater heraus existierenden Logos entfernt, zeigt er außerdem auch durch
das Nächststehende. Er hat nämlich wiederum folgendermaßen geschrieben:

III-1 | 1–10 Wenn … vollzieht]

Vgl. Loofs, Nestoriana S. 232,8–17.

III-1 | 1–3 Wenn … vor]

Kyrill hat beispielsweise bereits in seinem Brief an die Mönche den Anfang des dritten Kapitels des Hebräerbriefes, auf den Nestorius hier anspielt, so interpretiert, dass der ‚Apostel‘ und ‚Hohepriester‘ mit dem ‚Erbauer des Hauses‘ (Hebr 3,3), d.h. mit Christus in seiner Eigenschaft als erschaffendem Gott, gleichzusetzen ist (vgl. CV1,22,1 – 24, ACO I,1,1 S. 20,28–21,16 [Dok. 5]). Die relative Chronologie zwischen Kyrills Brief und der hier zitierten Predigt ist jedoch ungewiss. Es soll hier also lediglich festgehalten werden, dass das Wesen des Hohepriesters aus dem Hebräerbrief schon von Anfang an ein Streitpunkt zwischen den an der Kontroverse beteiligten Parteien war. Ein weiteres frühes Zeugnis hierfür findet sich im sechsten Kapitel der Predigt des Proklos von Kyzikos (vgl. CV19,3,1 – 21, ACO I,1,1 S. 105,10–24 [Dok. 3]).

III-1 | 1–2 Wenn … lesen]

Vgl. Hebr 3,1.

III-1 | 11–14 Weshalb … Gott]

Vgl. Loofs, Nestoriana S. 233,4–7.

III-1 | 13–14 Wer … Gott]

Die Übersetzung des Marius Mercator (CPal29,V,15 – 17, ACO I,5 S. 56,9–11 [Dok. 26]) kann hier den Verdacht aufkommen lassen, dass diesem möglicherweise ein anderer Text vorgelegen haben könnte: perpetuae quippe possessor est deitatis. ex hominibus nempe electus atque susceptus pontifex pro hominibus constituitur apud deum (Er ist ja [bereits] im Besitz der ewigen Göttlichkeit. ‚Der aus den Menschen‘ erwählte und ‚angenommene Hohepriester wird für die Menschen bei Gott eingesetzt.‘). Allerdings wird der hier zugrunde liegende griechische Text in der Wiederholung weiter unten (vgl. CV166,III,1,127 – 130) in gleichem Wortlaut wiedergegeben.

III-1 | 13–14 aus … Gott]

Vgl. Hebr 5,1.

III-1 | 17–18 Gott … unterworfen]

Gal 4,4; vgl. oben CV166,II,2,69 – 3,4.

III-1 | 20–21 Sende … aus]

Ps 42(43),3.

III-1 | 22–24 Gott … werde]

Joh 3,17.

III-1 | 24–25 Ich … gekommen]

Joh 8,42, wobei Kyrill hier, wie er es auch an anderen Stellen tut, den Vers mit ἐκ τοῦ πατρὸς statt mit ἐκ τοῦ θεοῦ, wie es im Johannesevangelium überliefert ist, zitiert.

III-1 | 25–27 Wer … Gottes]

Joh 3,33f.

III-1 | 36 wenn … sind]
III-1 | 37 Schließlich … erhalten]

Vgl. Eph 2,18; s. auch oben CV166,II,Praef.,80 – 81.

III-1 | 37–38 sondern … geworden]

Die Worte klingen wie eine Anspielung auf 1 Tim 2,5. Dort wird allerdings die Menschheit Christi betont und in einer klaren Differenz zu Gott dargestellt (εἷς γὰρ θεός, εἷς καὶ μεσίτης θεοῦ καὶ ἀνθρώπων, ἄνθρωπος Χριστὸς Ἰησοῦς). Die Stelle impliziert also genau das, was Kyrill hier als abzulehnende These einführt.

III-1 | 49–50 Der … Wahrheit]
III-1 | 51–52 Ich … Rettung]

Röm 1,16.

III-1 | 57–58 Herr … mir]

Hab 3,2; vgl. oben CV166,I,4,104 – 105.

III-1 | 68–69 In-die-Luft-Schlagen]

Vgl. 1 Kor 9,26, dort allerdings ohne die Präposition εἰς, sondern einfach ἀέρα δέρων.

III-1 | 70–72 Wer … halten]
III-1 | 89–90 dass … werden]

Vgl. Mt 16,18.

III-1 | 92 Er … Alleingang]

Schwartz nimmt hier zwischen καινοτομεῖ und καὶ μόνος eine Lücke an, die er beispielsweise mit den Worten δὲ διισχυριζόμενος αὐτὸς füllen möchte. Die Übersetzung folgt an dieser Stelle jedoch dem überlieferten Text.

III-1 | 93–95 Wir … dargebracht]
III-1 | 103–105 Wenn … vollzieht]
III-1 | 113–116 Da … sagte]
III-1 | 118 indem … annahm]

Vgl. Phil 2,7.

III-1 | 118–119 obwohl … ist]

Vgl. Hebr 1,3; s. auch oben CV166,I,3,3 – 6 u. CV166,II,1,87 – 89.

III-1 | 120 der‌¹ … ist]
III-1 | 120–121 der‌³ … existiert]

Vgl. Phil 2,6.

III-1 | 124–126 Er … dargebracht]
III-1 | 124 wohlriechenden Opfer]

Vgl. Eph 5,2.

III-1 | 127–130 Weshalb … Gott]
III-1 | 139 ihm]

αὐτῷ: von Schwartz vermutlich aufgrund einer angenommenen Dittographie gestrichen, in Klammern jedoch in der vorliegenden Übersetzung belassen, da sie sich durchaus sinnvoll in den Text integrieren lässt.

III-1 | 140 nicht]

Die Negation wurde von Schwartz vermutlich aufgrund von inhaltlichen Erwägungen getilgt, in Klammern jedoch in der vorliegenden Übersetzung belassen, da sich auch mit ihr eine sinnvolle Lesart des Satzes ergibt.

III-1 | 141 Seth]

Eigentlich geht es in dem folgenden Zitat um die Geburt Kains, des erstgeborenen Sohnes von Adam und Eva.

III-1 | 141–142 Wir … genommen]

Gen 4,1.

III-1 | 141–142 in … genommen]

ἐκτησάμην in Anlehnung an κτήτωρ aus dem vorangegangenen Nestoriuszitat (vgl. oben CV166,III,1,129).

III-1 | 145 Geisteskrankheit]

Vgl. oben CV166,III,1,3.

III-1 | 149 den … nennen]

Schwartz nimmt an dieser Stelle zwischen Χριστὸν und τὸν eine Lücke an, die er beispielsweise mit den Worten εἰς τὸν ἐκ θεοῦ πατρὸς λόγον καὶ füllen möchte. Die Übersetzung versucht jedoch den überlieferten Text wiederzugeben.

III-1 | 157 zusammen … ihm]

Diese Worte wirken angesichts dessen, was Kyrill im bisherigen Verlauf seiner Erörterungen geäußert hatte, etwas merkwürdig. Das direkte Objekt zu προσκεκύνηκεν sollte eigentlich das Subjekt des vorangegangenen Satzes, nämlich der Leib sein. Unter dieser Voraussetzung müsste sich die Wendung σὺν αὐτῷ dann auf den Logos beziehen, der aufgrund seiner göttlichen Natur ja in jedem Fall Verehrung genießt, die dann „zusammen mit ihm“ auch dem Leib gilt. Mit einer solchen Ausdrucksweise nähert sich Kyrill jedoch jener Vorstellung an, die er im Vorfeld in seiner Auseinandersetzung mit einer Äußerung des Nestorius strikt abgelehnt hat, da eine solche immer auf eine Spaltung des einen Christus hinauslaufe (vgl. oben CV166,II,10,7 – 73 mit Anm.). Auf der anderen Seite greift Kyrill jedoch auch an anderen Stellen auf die Junktur σὺν αὐτῷ zurück, wenn er eigentlich die Einheit Christi betonen will, die er dann durch die Verwendung einer Form von εἷς hervorhebt (vgl. z.B. Joh. 4,2, Pusey [1965 (= 1868–1877)], Bd. 3 S. 529,26–29; 11,12, Pusey [1965 (= 1868–1877)], Bd. 5 S. 2,2–6).

III-1 | 158–159 Seine … Lobes]

Hab 3,3.

III-1 | 173–175 sondern … wird]
III-1 | 191–192 die … hat]

Vgl. Hebr 2,16.

III-1 | 192–193 obwohl … annahm]

Vgl. Phil 2,6f.

Die Akten des Konzils von Ephesus 431. Übersetzung, Einleitung, Kommentar

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