(2) „Er nimmt nicht die Engel an, sondern er nimmt die Nachkommenschaft Abra‐
hams an.“ Ist die Gottheit denn etwa eine Nachkommenschaft Abrahams? Höre auch
die anschließende Aussage: „Daher musste er“, heißt es, „seinen Brüdern in jeder Hin‐
sicht gleich werden.“ Hatte der Gott-Logos denn etwa irgendwelche Brüder, die der
Gottheit glichen? Betrachte auch, was damit unmittelbar in Zusammenhang steht:
„Damit er barmherzig wird und zuverlässiger Hohepriester, was Gott anbelangt. Wo‐
rin er nämlich selbst gelitten hat und versucht worden ist, [darin] kann er denen, die
versucht werden, helfen.“ Also ist der Leidende barmherziger Hohepriester. Leidens‐
fähig ist aber der Tempel, nicht der lebenspendende Gott dessen, der gelitten hat.Der
‚gestern und heute‘ [Existierende], nach dem Ausspruch des Paulus, ist Nachkom‐
menschaft Abrahams, [und] nicht jener, der da sagt: „Bevor Abraham entstand, bin
ich.“ Seinen Brüdern in jeder Hinsicht gleich ist derjenige, der die Bruderschaft der
menschlichen Seele und des Fleisches angenommen hat, nicht jener, der da sagt: „Wer
mich gesehen hat, hat den Vater gesehen.“
Es nahm also, wie er gerade auch selbst bekannt hat, der Logos, der Gott ist, die
‚Nachkommenschaft Abrahams‘ an. Inwiefern ist also der aus der ‚Nachkommen‐
schaft Abrahams‘ [Stammende] noch ‚Besitzer der Gottheit‘, wenn er von Gott hinzu‐
genommen wurde und man nicht sieht, dass er selbst die Gottheit hinzugenommen
hat? Und die ‚Nachkommenschaft Abrahams‘ ist demnach wohl in keinem Fall die
Natur der Gottheit, sondern vielmehr Leib des Gott-Logos im Sinne der Schriften
und dessen Eigentum geworden. Und derjenige, der der Schöpfung seiner eigenen
Natur nach als Gott nicht zugeordnet ist, hält es gerade zu dem Zeitpunkt, als er
Mensch geworden ist, welcher ein Teil der Schöpfung ist, für richtig, und zwar voll‐
kommen zu Recht, uns auch Brüder zu nennen, indem er sagt: „Ich werde deinen Na‐
men meinen Brüdern verkünden.“ Dass sich aber der aus Gott, dem Vater, [gezeugte]
Logos um des Maßes der Entäußerung willen auch dazu hinabbegeben hat, die
[Menschen] auf der Erde aus seiner eigenen Sicht Brüder nennen zu müssen, soll der
überaus weise Paulus verdeutlichen, der über ihn und uns geschrieben hat: „Denn der‐
jenige, der heiligt, und jene, die geheiligt werden, entstammen alle einem. Aus diesem
Grund schämt er sich nicht, sie Brüder zu nennen, wenn er sagt: ‚Ich werde deinen
Namen meinen Brüdern verkünden.‘“ Vor der Menschwerdung nämlich war die Be‐
zeichnung der Bruderschaft mit uns für den aus Gott entstandenen Logos vollkom‐
men unbedeutend. Als er aber in die freiwillige Entäußerung hinabgekommen ist, war
sie auch unter diesen Umständen unbedeutend, außer dass sie einen passenden Aus‐
gangspunkt erhalten hat. Er hat nämlich Anteil an Blut und Fleisch erhalten und für
jene, die in Fleisch und Blut stehen, den Namen Bruder erhalten. Denn wenn er zu‐
sammen mit uns geheiligt wird, insofern er Mensch geworden ist, obwohl er von
Natur aus Gott ist und selbst den Geist gibt, inwiefern wird es nunmehr nicht ord‐
nungsgemäß gesprochen sein, wenn er auch Bruder genannt werden sollte? Schließlich
ist er aus dem Grund wie wir geworden, dass er uns zu Brüdern und zu Freien erklärt.
„All denen nämlich, die ihn angenommen“, heißt es, „denen hat er die Vollmacht
verliehen, Kinder Gottes zu werden, da sie an seinen Namen glauben, sie, die nicht aus
dem Blute, nicht aus dem Willen des Fleisches oder aus dem Willen eines Mannes,
sondern aus Gott gezeugt worden sind.“ Denn der aus Gott, dem Vater, [gezeugte]
Logos ist dem Fleisch nach zusammen mit uns geboren worden, auf dass auch wir an
der Geburt aus Gott durch den Geist reichen Anteil hätten, wobei wir nicht mehr
Kinder des Fleisches heißen, sondern vielmehr von Grund auf umgewandelt werden
hin zu dem, was über der Natur steht, und aufgrund eines Gnadenaktes Kinder Gottes
heißen. Der der Natur nach und wahrhaft einziggeborene Sohn ist nämlich wie einer
von uns geworden, und die Aussage ist nicht gelogen. Es wird uns aber zudem der
Göttliches kündende Paulus Bürgschaft leisten, wenn er an einer Stelle folgenderma‐
ßen spricht: „Weil ihr aber Söhne seid, entsandte Gott den Geist seines Sohn in eure
Herzen, der da ruft: ‚Abba, Vater!‘“
Warum drängst du also die Weisheit des Heilsplans in die Richtung ab, dass es den
Anschein hat, er wäre nicht in der gebührenden Ordnung umgesetzt worden, wenn du
sagst: ‚Ist die Gottheit denn etwa eine Nachkommenschaft Abrahams? Hatte er [sc.
der Gott-Logos] denn etwa irgendwelche Brüder, die der Gottheit glichen?‘ Ist das
denn nicht offensichtlicher Wahnsinn? Denn das, was zumindest dem Grundsatz des
in Christus geschauten Heilsplans nach in solchem Maße richtig und frei von Tadel ist,
in abwegiger Weise zu hinterfragen und in Verruf zu bringen, was ist das anderes als
ein Beweis heftigster Umnebelung? Denn dem Bekenntnis nach ist der aus Gott, dem
Vater, [gezeugte] Logos im Hinblick auf die Natur des Leibes oder auf den Grundsatz
der in ihren eigenen Belangen vollendeten Menschheit uns ähnlich geworden und
gleicht uns in jeder Beziehung außer allein der Sünde. Wir wollen aber jenen, der sagt:
‚Hatte der Gott-Logos denn etwa irgendwelche Brüder, die der Gottheit glichen?‘,
fragen, was sich der überaus heilige Paulus dabei gedacht hat, als er einigen Menschen
schrieb: „Ihr Kinderlein, für die ich abermals Geburtswehen leide, bis dass Christus in
euch Gestalt annimmt.“ Und ebenso auf andere Weise auch an jene, die durch den
Glauben im Geist vollendet sind: „Wir aber, die wir alle mit unverhülltem Gesicht die
Herrlichkeit des Herrn wie in einem Spiegel betrachten, werden im Hinblick auf
ebendieses Bildnis umgestaltet von Herrlichkeit zu Herrlichkeit wie vom Herrn, dem
Geist.Der Herr ist aber der Geist. Wo aber der Geist des Herrn ist, dort ist Freiheit.“
Sagt er den Galatern dergleichen etwa als solchen, die keine Abdrücke der leiblichen
Freiheit tragen, welche auf die dem Fleisch nach [bestehende] Nachkommenschaft
Davids verweisen, und bringt sie unter Wehen zur Welt, auf dass ihnen Christus ir‐
gendwie eingeprägt werde und für sie dem Fleisch nach Gestalt gewinne? Warum soll
nun aber nicht ein jeder, glaube ich, sogar ohne Zweifel sagen, dass die [Menschen] auf
der Welt im Verhältnis zueinander alle gleichgestaltet sind und auch im Verhältnis zu
Christus selbst, insofern er uns entsprechend als Mensch aufgefasst wird und mit uns
zusammen? Was für eine Gestaltwerdung hin zu Christus forderte er bei ihnen? Oder
auf welche Weise werden wir ‚von Herrlichkeit zu Herrlichkeit‘ umgestaltet? Was für
eine Form geben wir auf, und zu welcher werden wir von Grund auf umgewandelt?
Also soll der göttliche Mystagoge vorbeikommen und uns aufklären, der Priester der
göttlichen Geheimnisse, ‚der Lehrer der Völker in Glaube und Wahrheit‘.„Jene, die er
zuvor erkannt hat“, sagt er, „und vorherbestimmt hat als gleichgestaltet mit dem Bild‐
nis des Sohnes selbst, die hat er auch berufen.“
Wie ich also eben sagte, sind wir, insofern er Mensch geworden ist und der Nach‐
kommenschaft Abrahams entstammte, im Verhältnis zu ihm alle gleichgestaltet. Alle,
〈die〉 der Vater schon ‚zuvor erkannt hat‘, die Menschen auf der Erde, und ‚vorherbe‐
stimmt hat‘, die hat er als Berufene geheiligt und verherrlicht. Aber selbstverständlich
sind nicht alle vorherbestimmt worden. Nicht alle sind geheiligt oder verherrlicht wor‐
den. Die Angelegenheit mit der Gleichgestaltung im Verhältnis zum Sohn wird also
wohl nicht allein im Hinblick auf die Natur des Fleisches oder der Menschheit ver‐
standen, sondern auch auf andere Weise. Auch das erläutert uns der selige Paulus,
wenn er sagt: „Wie wir das Bild des irdischen [sc. Menschen] getragen haben, werden
wir auch das Bild des himmlischen tragen“, wobei er mit ‚des irdischen‘ das Bild des
Vorvaters Adam meint, mit ‚des himmlischen‘ allerdings das [Bild] Christi. Was also
ist 〈das〉 erste Bild des Vorvaters? Die Bereitschaft zur Sünde, die Unterwerfung unter
Tod und Verderben. Welches ist aber auf der anderen Seite das des himmlischen? Den
Leidenschaften in keiner Weise zu unterliegen; das Fehlgehen nicht zu kennen; dem
Tod und dem Verderben nicht zu unterliegen; die Heiligung, die Gerechtigkeit und
alles, was damit verwandt ist und ihm nahe steht. Ich denke aber, dass es wohl der
göttlichen und reinen Natur zukommt, diese Dinge zu besitzen. Denn stärker als Sün‐
de und Verderben sind Heiligung und Gerechtigkeit. Der aus Gott, dem Vater, [ge‐
zeugte] Logos bringt aber auch uns in diesen Dingen nach oben, indem er uns durch
den Geist als ‚Teilhaber‘ an seiner eigenen ‚göttlichen Natur‘ ausweist.
Er [sc. Christus] hat also Brüder, die ihm gleichen und das Bildnis seiner göttlichen
Natur dem Wesen der Heiligung nach tragen. ‚Christus nimmt‘ nämlich so in uns
‚Gestalt an‘, wie uns der Heilige Geist von Grund auf vom Menschlichen hin zu dem
Seinen umgestaltet. Deshalb sagte der selige Paulus auch zu uns: „Ihr aber lebt nicht
im Fleisch, sondern im Geist.“ Der Sohn hat demnach keineswegs die Gesamtheit der
geschaffenen Dinge in die Natur der eigenen Gottheit umgewandelt (das wäre nämlich
nicht möglich). Vielmehr zeichnet sich die geistige Ähnlichkeit mit ihm auf jenen, die
durch die Anteilnahme am Heiligen Geist zu ‚Teilhabern der göttlichen Natur‘ ge‐
worden sind, in irgendeiner Weise ab, und die Schönheit der unaussprechlichen Gott‐
heit lässt die Seelen der Heiligen erstrahlen. Warum errötest du also nicht, wenn du
uns lediglich die bloße Ähnlichkeit mit dem Fleisch zuweist und die göttliche und
geistige Gestaltwerdung außer Acht lässt, sie vielmehr sogar vollkommen aufhebst?
Der Herr des Alls und einziggeborene Gott hat sich jedenfalls unseretwegen in die
Entäußerung hinabbegeben, um uns die Würde der Bruderschaft mit ihm und die
liebenswerte Schönheit der ihm eigenen hohen Geburt zu verleihen. Dieser Mann aber
beraubt uns der allerschönsten Güter und behauptet, dass uns bloß ein Mensch zum
Bruder geworden sei, und weist, wie er glaubt, die Erklärung in dieser Angelegenheit
für uns als glaubwürdig aus, indem er hinzusetzt:
Betrachte auch, was damit unmittelbar in Zusammenhang steht: „Damit er barm‐
herzig wird und zuverlässiger Hohepriester, was Gott anbelangt. Worin er nämlich
selbst gelitten hat und versucht worden ist, [darin] kann er denen, die versucht wer‐
den, helfen.“ Also ist der Leidende barmherziger Hohepriester. Leidensfähig ist aber
der Tempel, nicht der lebenspendende Gott dessen, der gelitten hat.
Dass er nun, indem er sich dazu entschieden hat, so zu denken, und es sogar wagt,
[so] zu sprechen, wiederum eine Aufteilung in zwei eigenständige Hypostasen und so‐
gar Personen vornimmt, den aus Gott, dem Vater, [gezeugten] Logos und jenen, den
er selbst gerade als Gott in sich tragenden Menschen eingeführt hat, wenn denn einer
separiert der Leidende ist, der Lebenspender aber ein anderer, bezweifelt meiner Mei‐
nung nach überhaupt niemand. Er haut aber auch auf andere Weise daneben, da er den
Wein ‚vom Rebstock Sodoms‘ ausgetrunken hat, in der Verirrung daherlallt und wahr‐
scheinlich nicht weiß, was er sagt. Wo wird denn der aus Gott, dem Vater, [gezeugte]
Logos Gott Christi (ich erschaudere beim Sprechen) genannt? Einer ist schließlich der
Herr Jesus Christus und einer der ‚Glaube‘, der sich auf ihn bezieht: nicht wie auf zwei
gerichtet und separierend, sondern durch ‚eine Taufe auf einen Sohn, Gott und Herrn
gerichtet, den aus Gott, dem Vater, [gezeugten] Logos, auch wenn er Mensch gewor‐
den ist. Er wird nämlich nicht, weil er wie wir geworden ist, das Gott-Sein verlieren.
Woher denn? Auch handhabt er, weil er der Natur nach Gott ist, die Gleichheit mit
uns nicht als etwas Unannehmbares und wird es nicht zurückweisen, Mensch zu sein.
Wie er aber in der Menschheit Gott geblieben ist, so ist er als Mensch, da er sowohl in
der Natur als auch der Überlegenheit der Gottheit existiert, um nichts geringer. Der
Immanuel ist nämlich beides zugleich und ein Gott und ebenso Mensch. Dieser gute
Mann jedoch, der das Wesen des Heilsplans als unschön zurückweist, entfernt die
menschlichen Dinge vom Gott-Logos, so dass er schließlich als jemand erscheint, der
unseren Angelegenheiten in keiner Weise Nutzen bringt. Er sagt nämlich, dass er
nicht selbst zum barmherzigen und zuverlässigen Hohepriester geworden sei, sondern
weist die Sache vielmehr dem, der gelitten hat, wie einem anderen neben ihm zu. Wie
wäre es allerdings nicht nötig gewesen, dass er, wenn er ein kluger Mystagoge sein will,
eine sorgfältige Sammlung der in der göttlich inspirierten Schrift [enthaltenen] Aus‐
sagen und Vorstellungen vornimmt und bedenkt, dass die Sache auch wahrhaft gottge‐
ziemend ist und nicht außerhalb des Begriffes liegt, der auf die Entäußerung passt und
ihr entspricht? Und auf welche Weise? Wir wollen es darlegen und uns so kurz wie
möglich fassen.
Der Gott des Alls hat den Älteren das Gesetz wie ein Orakel gegeben, wobei Mose
als Mittler fungierte. Doch es lag nicht im Gesetz, für jene, die in untadeliger Weise
bereitwillig waren, das Gute bewirken zu können. Es hat nämlich nichts vollbracht.
Der erste Bund war jedoch auch nicht untadelig. Verurteilung zum Dienst nannte der
überaus weise Paulus ihn. Ich höre aber, wie er sagt: „Wir wissen, dass, was das Gesetz
auch immer sagt, es denjenigen sagt, die im Gesetz [stehen], auf dass es jedes Mund‐
werk in Schranken weise und die ganze Welt dem Gericht Gottes unterworfen werde.
Deshalb soll aus den Werken des Gesetzes nicht alles Fleisch vor ihm gerechtfertigt
werden.“Das Gesetz bewirkt nämlich Zorn,und die Schrift tötet, wie er auch selbst
an einer Stelle sagt: „Wenn jemand das Gesetz Mose verwirft, stirbt er ohne Mitleid
auf zwei oder drei Zeugen hin.“ Wenn das Gesetz also jene, die sündigen verurteilt,
zuweilen die äußerste Strafe über jene verhängt, die es missachten, und in keiner Weise
Mitleid zeigt, inwiefern war [da] für die [Menschen] auf der Erde die Ernennung eines
mitleidsfähigen und wahrhaft barmherzigen Hohepriesters nicht notwendig, der dem
Fluch ein Ende setzt, die Klage zurückstößt und jene, die gesündigt haben, durch
nachsichtige Gnade und Weisungen, die auf Milde basieren, befreit: „Ich bin“, sagt er
nämlich, „derjenige, der deine Gesetzlosigkeiten hinwegwischt und mich nicht erin‐
nern will.“Wir werden daher im Glauben gerechtfertigt und nicht aus den Werken des
Gesetzes, wie geschrieben steht. Im Glauben an wen werden wir also gerechtfertigt?
Nicht an denjenigen, der unseretwegen im Hinblick auf das Fleisch den Tod erlitten
hat? Nicht an einen Herrn Jesus Christus? Sind wir nicht erlöst worden, weil wir
seinen Tod verkünden und die Auferstehung bekennen? Wenn wir nun an einen
Menschen von den Unsrigen geglaubt haben und nicht vielmehr an einen Gott, ist die
Sache dem Einvernehmen nach eine Menschenverehrung und nichts anderes. Wenn
wir aber glauben, dass es ein Gott ist, der im Fleisch gelitten hat, der auch unser
Hohepriester geworden ist, haben wir uns in keiner Weise geirrt, sondern erkennen,
dass der aus Gott [gezeugte] Logos Mensch geworden ist. Auf diese Weise wird aber
von uns der Glaube an einen Gott ausgeübt, der jene von der Strafe ausnimmt und von
Sünden befreit, die in ihnen gefangen sind. ‚Der Menschensohn hat‘ nämlich ‚die Voll‐
macht‘, auch ‚auf der Erde die Sünden zu vergeben‘, wie er an einer Stelle auch selbst
sagt. Indem wir also der Rettung und Gnade durch Christus die Härte der gesetz‐
lichen Strenge, um es so zu nennen, gegenüberstellen, sagen wir, dass Christus zum
barmherzigen Hohepriester geworden ist. Er war und ist schließlich als von Natur aus
guter Gott immer mitleidsfähig und barmherzig, und ist das nicht in der Zeit
geworden, sondern 〈...〉 wurde uns gegenüber als solcher ausgewiesen. Er wird in dem
Sinn zuverlässig genannt, dass er immer bleibt, was er ist, nach dem, was auch in
Bezug auf seinen Vater gesagt wurde: „Gott ist aber zuverlässig, der nicht zulassen
wird, dass ihr über euer Vermögen versucht werdet.“
Der Immanuel ist also für uns zu einem barmherzigen und zugleich auch zuver‐
lässigen Hohepriester geworden. Wie Paulus nämlich sagt: „Es gibt recht viele, die
Hohepriester geworden sind, da sie durch den Tod daran gehindert wurden zu bleiben.
Dieser aber hat die unbegrenzte Priesterschaft inne, da er bis in Ewigkeit bleibt. Daher
kann er auch jene, die durch ihn zu Gott gelangen, vollständig retten, da er immer
lebt, um für sie zu bitten.“ Dass der aus dem Vater [gezeugte] Logos aber Gott geblie‐
ben ist, obwohl er der Schrift nach Priester geworden ist, weil Gestalt und Maß zu
dem Heilsplan, der mit dem Fleisch verbunden ist, passen, um [das] zu versichern,
reicht uns die Aussage des seligen Paulus aus. Er sagte schließlich wiederum: „Der
wichtigste Punkt an dem, was gesagt wurde, ist aber: Wir haben einen solchen Hohe‐
priester, der Platz genommen hat zur Rechten des Thrones der Majestät in den Him‐
meln als Diener des Heiligen und des wahrhaften Zeltes, welches der Herr und kein
Mensch aufgestellt hat.“ Betrachte nun und richte deinen Blick darauf, dass der aus
Gott entstandene Logos als Gott durch den höchsten Ruhm hervorsticht, sogar auf
dem Thron der Gottheit, derselbe aber als Mensch priesterliche Dienste verrichtet und
dem Vater kein irdisches Opfer darbringt, sondern vielmehr ein göttliches und geisti‐
ges und den Himmel gleichsam als heiliges Zelt besitzt. Denn ‚nicht nach dem Gesetz
fleischlichen Gebotes‘ ist er Hohepriester geworden, ‚sondern nach der Kraft unauf‐
löslichen Lebens‘, wie geschrieben steht. Er ist nun also auch in dieser Beziehung
‚zuverlässig‘ und leistet für jene, die sich ihm nähern, Bürgschaft, dass er sie auch ohne
Schwierigkeiten erretten kann. Denn durch sein eigenes Blut und ‚eine einzige Opfer‐
gabe hat er jene, die geheiligt werden, für immer zur Vollendung gebracht.‘ Das macht
nämlich, glaube ich, der in unseren Augen heilige Paulus deutlich, wenn er sagt:
„Worin er nämlich selbst gelitten hat, als er versucht wurde, [darin] kann er denen, die
versucht werden, helfen.“ Warum lässt er uns also die Gedankengänge außer Acht, die
zur Frömmigkeit führen, entfernt sich von den Grundsätzen, die sich auf Richtigkeit
und Wahrheit richten, und sagt ,der Leidende‘ sei ‚barmherziger Hohepriester, leidens‐
fähig aber der Tempel, nicht der lebenspendende Gott dessen, der gelitten hat‘?
Dass der Logos Gottes nun ‚im Fleisch‘ unseretwegen freiwillig ‚gelitten hat‘, soll
zu seiner Zeit gezeigt werden. Dass er aber den Unteilbaren teilt und durch die Wir‐
kung seiner eigenen Erwägungen zwei Christi zu Ansehen verhilft, auch wenn er
vielleicht einen Christus zu bezeichnen scheint, soll um nichts weniger auch durch das
unmittelbar Hinzugefügte bewiesen werden. Er sagte nämlich wiederum: