CV166: Kyrill, ‚Gegen Nestorius‘

Inhalt: Kyrill unterzieht die Christologie seines Gegners Nestorius einer groß angelegten Kritik. Zu diesem Zweck zitiert er zahlreiche ihm anstößig erscheinende Aussagen, die jener im Vorfeld getätigt hatte, und stellt diesen dann seine eigenen Ansichten gegenüber.

Edition: Collectio Vaticana 166, ACO I,1,6 S. 13,4–106,41; ältere Edd.: PG 76, Sp. 9–248; Pusey (1965 [= 1868–1877]), Bd. 6 S. 54–239

Verzeichnisnummern: CPG 5217

Verfasser: Kyrill von Alexandria

Datierung: spätestens Mitte 430

Lat. Übersetzungen:  –

Literatur: Pusey (1881), S. 1–184.

(5) Wenn nun auch allein dieser Hohepriester mit euch mitfühlt, mit euch verwandt
ist und zuverlässig ist, wendet euch nicht von dem Glauben an ihn ab. Denn er selbst
wurde für uns
der verheißenen Segnung nach aus der Nachkommenschaft Abrahams
in dem Sinn abgesandt, dass er für sich und das Geschlecht das Opfer des Leibes mit
sich bringt.

Du sagst also, dass jener ein mit uns verwandter und mitfühlender und zuverläs­
siger Hohepriester und zudem auch noch allein der sei, den uns deine Argumentation
eben deutlich dargestellt hat. Du sagtest ja:

Der ‚gestern und heute‘ [Existierende], nach dem Ausspruch des Paulus, ist Nach­
kommenschaft Abrahams, [und] nicht jener, der da sagt: „Bevor Abraham entstand,
bin ich.“ Seinen Brüdern in jeder Hinsicht gleich ist derjenige, der die Bruderschaft
der menschlichen Seele und des Fleisches angenommen hat, nicht jener, der da sagt:
„Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen.“ Gesandt wurde der uns Wesenseine
und er ist ‚gesalbt‘ worden, da er ‚den Gefangenen die Freilassung verkündet und den
Blinden die Wiedererlangung des Augenlichts‘.

Dieser wird nun also wohl auch als verwandt mit den [Menschen] auf der Erde
aufgefasst und nicht, wie du sagtest, jener, der da spricht: „Wer mich gesehen hat, hat
den Vater gesehen.“
Wenn du nämlich, indem du auf Grundlage einer wahren Einung
beides in eins zusammenführst, mit uns zusammen einen Sohn bekennst, hast du um­
sonst daran gearbeitet, jeden von beiden für sich und separat vorzubringen und in
jeder Weise in Hypostasen und Personen aufzuteilen, [und zwar] nicht allein, um zu
erkennen, dass die Natur des Fleisches im Vergleich zur göttlichen andersartig ist, sie
allerdings durch einen Zusammenschluss, dem eine wahrhafte Einung zugrunde liegt,
ihr zu eigen geworden ist.
Wenn du aber, weil du dich uns gegenüber in der Meinung
unversöhnlich zeigen willst und die Einung gänzlich zurückweist, behauptest, dass es
einen und einen anderen gebe und der eine aus Gott, dem Vater, gezeugt worden sei,
der andere aber verwandt und wesenseins mit uns sei, warum sagst du dann, dass man
sich nicht von dem Glauben an ihn abwenden dürfe? Sag es mir, und wir wollen an ihn
als Verwandten glauben und dabei jenen außen vor lassen, der da sagt: „Bevor Abra­
ham entstanden ist, bin ich“,
〈oder〉 wollen jenen als Gott ausweisen, der die mit uns
[verbindende] Bruderschaft der menschlichen Seele und des Fleisches angenommen
hat und dabei jenen fahren lassen, der da sagt:
„Wer mich gesehen hat, hat den Vater
gesehen.“
Und doch sagt er selbst: „Gott hat die Welt nämlich so geliebt, dass er sei­
nen eigenen Sohn, den einziggeborenen gegeben hat, auf dass jeder, der an ihn glaubt,
nicht zugrunde gehe, sondern ewiges Leben erlange.“
Und dann wieder: „Wer an ihn
glaubt, wird nicht gerichtet. Wer nicht an ihn glaubt, ist bereits gerichtet, weil er nicht
zum Glauben an den Namen des einziggeborenen Sohnes Gottes gefunden hat.“
Wird
also nun der aus der Nachkommenschaft Abrahams [Stammende] für sich und allein
als einziggeborener aufgefasst, obwohl Johannes eindeutig geschrieben hat: „Der
einziggeborene Sohn, der im Schoß des Vaters ist, jener hat Auskunft gegeben“,
und
ebenso eine andere heilige Schrift: „Wenn er den Erstgeborenen in die Welt einführt,
spricht er:
‚Und es sollen ihn alle Engel Gottes verehren‘“?‚Erstgeborener‘ ist aber
wohl in jedem Fall jener, der ‚unter vielen Brüdern‘ [war],
und nicht allein jener, der
allein aus Gott, dem Vater, gezeugt worden ist. Wir wollen nämlich erst einmal deinen
Unterscheidungen folgen und dabei mit Blick auf den Heilsplan abwarten, in welche
Richtung uns die Worte ausbrechen. Derjenige also (ich will die Argumentation näm­
lich wieder zum Ausgangspunkt zurückführen), der die mit uns [verbindende] Bru­
derschaft der menschlichen Seele und des Fleisches angenommen hat und aus der
Nachkommenschaft Abrahams entstanden ist,
ist wohl als unter vielen Brüdern [le­
bender] Erstgeborener, der im Schoß Gottes, des Vaters, [Existierende] hingegen
einziggeborener Gott-Logos. Wenn also die göttlich inspirierte Schrift sagt, dass der
Glaube auf den einziggeborenen Sohn Gottes ausgerichtet werden müsse,
weswegen
sagst du [dann], indem du den mit uns verwandten und wesenseinen hinzusetzt, dass
man sich nicht von dem Glauben an ihn abwenden dürfe?
Es ist also notwendig, die
Verbindung zu einem Herrn und Christus zu vollziehen – selbstverständlich aber auf
Grundlage einer Einung, [nämlich] der hypostatischen –, auf dass derselbe im selben
Moment als Einziggeborener und als Erstgeborener wahrgenommen werde, insofern
der aus Gott, dem Vater, [gezeugte] Logos, der von Natur aus als Gott existiert,
Mensch wie wir und einer, der der Nachkommenschaft Abrahams entstammt, gewor­
den ist. Doch es ist etwas Kluges, wie er jedenfalls glaubt, von ihm erdacht worden,
und er spricht wiederum folgendermaßen:

III-5 | 1–5 Wenn … bringt]

Vgl. Loofs, Nestoriana S. 240,4–9, ebenfalls zit. in CV60,XX, ACO I,1,2 S. 50,21–24; CV169,77, ACO I,1,6 S. 140,11–14.

III-5 | 3 der‌¹ … nach]

τῆς ἐπηγγελμένης εὐλογίας: dieser in seiner Funktion nicht leicht einzuordnende Genitiv findet sich so an allen Stellen, an denen das Nestoriuszitat innerhalb der Konzilsakten angeführt wird. Er lässt sich, wie hier geschehen, am ehesten als Genitiv im Sinne eines respectus deuten. In einer Handschrift, die nicht direkt in die Aktenüberlieferung eingegangen ist (vgl. Loofs, Nestoriana S. 240,7 mit App., dazu auch S. 230,15), steht an dieser Stelle jedoch der leichter verständliche Ausdruck τῆς ἐπηγγελμένης ἀρχιερεὺς εὐλογίας. Hier definieren die in den Akten überlieferten Worte also den ἀρχιερεύς. Die „verheißene Segnung“ spielte dann vermutlich auf Ps 109(110),4 an, der in Hebr 5,6 und 5,10 zitiert wird, und auf Hebr 6,11–20, wo der von Gott im Psalm eingesetzte Priester dann mit der Abraham gegebenen Verheißung auf Nachkommenschaft (vgl. Gen 17,16. 22,17) in Verbindung gebracht wird.

III-5 | 9–15 Der … Augenlichts]
III-5 | 17–18 Wer … gesehen]

Joh 14,9.

III-5 | 18 Wenn … nämlich]

Schwartz vermutet vor diesem Konditionalsatz eine Lücke, die er beispielsweise mit den Worten ἀλλὰ πῶς λέγεις χρῆναι τῆς εἰς αὐτὸν παρατρέπεσθαι πίστεως füllen möchte. Die Übersetzung folgt jedoch dem überlieferten Text.

III-5 | 21–24 und‌² … ist]
III-5 | 29–33 und … gesehen]
III-5 | 29–30 Bevor … ich]

Joh 8,58.

III-5 | 32–33 Wer … gesehen]

Joh, 14,9.

III-5 | 33–35 Gott … erlange]

Joh 3,16; vgl. auch oben CV166,II,11,71 – 74.

III-5 | 35–37 Wer … hat]

Joh 3,18.

III-5 | 39–40 Der … gegeben]

Joh 1,18.

III-5 | 41–42 Wenn … verehren]

Hebr 1,6; vgl. oben CV166,II,13,66 – 67.

III-5 | 42 Und … verehren]

Vgl. Dtn 32,43.

III-5 | 42–43 Erstgeborener … war]

Vgl. Röm 8,29.

III-5 | 45 Unterscheidungen]

διαστολαῖς: Der Begriff διαστολή kann auch im Sinne von „Anweisung“ verstanden werden.

III-5 | 46–49 Derjenige … ist‌¹]
III-5 | 51–52 Wenn … müsse]
III-5 | 52–54 weswegen … dürfe]

Die Akten des Konzils von Ephesus 431. Übersetzung, Einleitung, Kommentar

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