(5) Ich will aber auch die Worte des Anstoßes zur Sprache bringen. Über das eigene
Fleisch sprach der Herrscher Christus zu ihnen: „Wenn ihr“, sagt er, „das Fleisch des
Menschensohnes nicht esst und sein Blut nicht trinkt, habt ihr kein Leben in euch.“
Jene, die es hörten, ertrugen die Höhe des Gesagten nicht. Sie glauben 〈nämlich〉 aus
Unbildung heraus, dass er eine Menschenfresserei einführe.
Inwiefern sollte das nun nicht eindeutig Menschenfresserei sein? Auf welche Weise
ist das Geheimnis noch erhaben, wenn wir nicht sagen, dass der aus Gott, dem Vater,
[gezeugte] Logos entsandt worden ist, und bekennen, dass die Menschwerdung die
Form der Entsendung ist? Dann nämlich, ja dann werden wir beobachten, dass das mit
ihm geeinte Fleisch und nicht das Fleisch eines anderen die Kraft besitzt, Leben zu
spenden. Es ist nur dem zu eigen geworden, der durch seine Kraft alles zum Leben
bringen kann. Denn wenn hier das sinnlich wahrnehmbare Feuer das Vermögen der
ihm naturhaft innewohnenden Wirkkraft den Stoffen eingibt, mit denen es Kontakt zu
haben scheint, und es sogar das Wasser, obwohl es der Natur nach kalt ist, zu dem hin
verändert, was dessen Natur nicht entspricht, und es erwärmt, was ist widersinnig da‐
ran und auf welche Weise ist es unglaubwürdig, wenn der aus Gott, dem Vater, [ge‐
zeugte] Logos, der seiner Natur nach Leben ist, das mit ihm geeinte Fleisch als leben‐
spendend erweist? Es ist ihm schließlich eigen und gehört keinem anderen neben ihm,
der separat und als einer der Unsrigen aufgefasst wird. Wenn du aber den Logos Got‐
tes von der mystischen und wahrhaftigen Einung mit dem Leib entfernst und vollkom‐
men abtrennst, wie kannst du noch lehren, dass er lebenspendend sei? Wer aber war es,
der da sagte: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, bleibt in mir und ich in
ihm“? Wenn [es] nun irgendein Mensch für sich und nicht vielmehr der Logos Gottes,
der wie wir geworden ist, [war,] ist das, was vollzogen wird, Menschenfresserei und die
Teilhabe vollkommen nutzlos. Denn ich höre Christus persönlich sagen: „Das Fleisch
bringt keinen Nutzen. Der Geist ist der Lebenspender.“ Soweit es nämlich die eigene
Natur betrifft, ist das Fleisch verderblich, und es wird auf keine Weise anderen Leben
spenden, da es von Hause aus am Verderben krankt. Wenn du aber meinst, dass der
Leib dem Logos selbst zu eigen ist, warum erzählst du dann Märchen und redest
sinnlos daher, indem du behauptest, dass der aus Gott, dem Vater, [gezeugte] Logos
nicht selbst entsandt worden sei, sondern der Sichtbare oder eben sein Fleisch wie ein
anderer neben ihm, obwohl die göttlich inspirierte Schrift überall einen Christus
ausruft und sie zuverlässig versichert, dass der Logos Mensch wie wir geworden ist,
und dadurch die Überlieferung des rechten Glaubens festlegt.
Er jedoch errötet wahrscheinlich aus allzu großer Frömmigkeit angesichts der Maße
der Entäußerung und erträgt es nicht, den mit Gott, dem Vater, gleich ewigen Sohn,
der in Gestalt und allumfänglicher Gleichheit mit dem Erzeuger [existiert], in die Er‐
niedrigung hinabgestiegen zu sehen. Er klagt aber den Heilsplan an und lässt den
göttlichen Beschluss und Plan vermutlich nicht unbescholten. Er gibt nämlich vor, die
Bedeutung des von Christus Gesagten zu untersuchen. Und indem er die Tiefe der
Gedanken gleichsam wiederkäut und dann die von uns vorgebrachte Argumentation,
wie er glaubt, dahin bringt, dass sie unangebracht und töricht erscheint, sagt er:
‚Lasst uns sehen, wer derjenige ist, der in seiner Deutung fehlgeht. „Wie mich der
lebendige Vater entsandt hat“, nach dessen Auffassung, „und ich“, der Gott-Logos,
„lebe durch den Vater.“ Dann danach: „Und jener, der mich isst, wird leben.“ Was
essen wir? Die Gottheit oder das Fleisch?‘
Merkst du nun endlich, wo du eigentlich in deinem Denken stehst? Denn indem
der Logos Gottes erklärt, dass er selbst entsandt worden sei, sagt er: „Und jener, der
mich isst, wird leben.“ Wir essen aber nicht, indem wir die Gottheit konsumieren –
hinfort mit diesem Denkfehler –, sondern das dem Logos gehörende Fleisch, das le‐
benspendend geworden ist, weil es dem angehörig geworden ist, der ‚durch den Vater
lebt‘, und zwar nicht, weil wir vielleicht sagen, dass der Logos vom Vater auf Grund‐
lage einer von außen kommenden Teilhabe und in hinzugefügter Form lebendig ge‐
macht wird, sondern wir vielmehr beteuern, dass er der Natur nach Leben ist. Er ist
schließlich aus dem Vater als aus Leben gezeugt. Denn auf die Weise wie von der Son‐
ne ausgestrahlter Glanz, wenn man sagt, dass er wegen derjenigen, die ihn ausgestrahlt
hat oder aufgrund derer er vorhanden ist, leuchtend sei, nicht auf Grundlage einer
Teilhabe die Eigenschaft, leuchtend zu sein, besitzt, sondern gleichsam aus einer na‐
turhaften hohen Geburt heraus den Vorzug jener, die ausgestrahlt oder aufgeleuchtet
hat, in sich trägt, auf die dementsprechende Weise und Erwägung, glaube ich, bezeugt
der Sohn wohl, auch wenn er sagt, dass er durch den Vater lebt, für sich die hohe Ge‐
burt aus dem Vater und wird nicht in Vermischung mit den anderen Geschöpfen be‐
kennen, dass er das Leben als etwas, das zugeführt ist und von außen kommt, besitzt.
Wie aber der Leib des Logos in eigener Person lebenspendend ist, da dieser ihn auf
Grundlage einer wahrhaften Einung, die über Verstand und Begriff hinausgeht, sich zu
eigen gemacht hat, so werden auch wir, wenn wir zur Teilhabe an seinem heiligen
Fleisch und Blut kommen, ganz und gar lebendig gemacht, wobei der Logos zwar auf
göttliche Weise durch den Heiligen Geist in uns weilt, auf menschliche aber durch das
heilige Fleisch und das ‚kostbare Blut‘. Den Wahrheitsgehalt dessen, was ich sagte, soll
jedoch der überaus heilige Paulus bestätigen, der denen, die in Korinth zum Glauben
an unseren Herrn Jesus Christus gekommen sind, folgendermaßen geschrieben hat:
„Ich spreche als zu Verständigen: Beurteilt ihr, was ich sage! Ist der Kelch des Segens,
den wir segnen, nicht die Gemeinschaft des Blutes Christi? Ist das Brot, das wir bre‐
chen, nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi? Denn ein Brot, ein Leib sind wir, die
vielen. Wir alle haben schließlich teil an dem einen Brot.“ Denn weil wir am Heiligen
Geist teilhaben, werden wir mit Christus, dem Retter aller, selbst und untereinander
geeint und sind auf diese Weise ‚Leibesgenossen‘, ‚weil wir, die vielen, ein Brot, ein
Leib sind. Wir alle haben schließlich teil an dem einen Brot‘. Denn der Leib Christi in
uns verbindet uns zur Einung und ist in keiner Weise geteilt. Dass wir aber durch den
Leib Christi zur Einung mit ihm und untereinander zusammengeführt werden, dafür
wird der selige Paulus Bürgschaft leisten, wenn er schreibt: „Deswegen bin ich, Paulus,
der Gefangene Jesu Christi für euch Völker; ihr habt den Heilsplan der Gnade Gottes
vernommen, die mir um euretwillen gewährt wurde, weil mir in einer Offenbarung das
Geheimnis kundgetan worden ist, wie ich zuvor kurz geschrieben habe. Dementspre‐
chend könnt ihr, wenn ihr lest, meine Einsicht in das Geheimnis Christi erkennen,
welches in anderen Generationen den Söhnen der Menschen nicht kundgetan worden
ist, auf dass nun seinen heiligen Aposteln und Propheten im Geiste enthüllt werde,
dass die Völker Miterben, Leibesgenossen und Teilhaber des Evangeliums in Christus
sind.“
Als aber einige unter den Gläubigen, weil sie die Überlieferung und die Bedeutung
des Geheimnisses zunächst nicht kannten, sich aus dem Bereich des Angemessenen
hinausbegeben wollten und in den Kirchen ganze Festmähler und öffentliche Feiern
veranstalteten, schalt der selige Paulus jene, die dies zu tun pflegten, indem er schrieb:
„Habt ihr denn keine Häuser, um zu essen und zu trinken? Oder verachtet ihr die
Gemeinde Gottes und beschämt jene, die nichts besitzen? Was soll ich euch sagen?
Soll ich euch loben? In dieser Beziehung werde ich kein Lob aussprechen. Ich habe
nämlich vom Herrn empfangen, was ich auch euch übermittelt habe, dass nämlich der
Herr Jesus Christus in der Nacht, in der er ausgeliefert wurde, ein Brot nahm, dankte,
es brach und sagte: ‚Das ist mein Leib für euch. Tut dies zu meinem Gedächtnis!‘
Ebenso auch den Kelch nach dem Mahl, wobei er sprach: ‚Dieser Kelch ist der neue
Bund in meinem Blut. Tut dies, so oft ihr trinkt, zu meinem Gedächtnis. Denn sooft
ihr dieses Brot esst und den Kelch trinkt, verkündet ihr den Tod des Herrn, bis er
kommt.‘“ Und dass das Geheimnis göttlich ist und die Teilhabe lebenspendend und
die Kraft dieses unblutigen Opfers den im Gesetz [festgelegten] Dienst bei weitem
überwiegt, ist ohne Mühe auch daraus zu erkennen, dass jene durch Mose den Älteren
verkündeten Bestimmungen Schatten genannt werden,Christus hingegen und das ihm
Zugehörige die Wahrheit ist. Im Hinblick darauf wird uns aber auch der überaus weise
Paulus unterstützen, der in folgender Weise geschrieben hat: „Wenn jemand das
Gesetz des Mose verwirft, stirbt er ohne Mitleid auf zwei oder drei Zeugen hin. Eine
um wieviel, meint ihr, schlimmere Bestrafung wird der verdienen, der den Sohn Gottes
mit Füßen getreten, das Blut des Bundes, in welchem er geheiligt wurde, für gewöhn‐
lich erklärt und gegen den Geist der Gnade gefrevelt hat?“ Die Alten aßen nämlich
zwar beim Opfer das Lamm, doch die Kraft der Speise erstreckte sich nicht allein auf
die Sättigung des Magens. Sie betrieben das Opfergeschäft dem Gesetz nach auch
nicht aus diesem Grund, sondern auf dass sie, während die anderen der Tod befällt,
selbst stärker seien als das Leiden und dem Untergang entgingen. Und so sind zwar in
einer einzigen Nacht die Erstgeborenen der Ägypter vernichtet worden, allein jene
aber, die durch ein bloßes Zeichen verschanzt waren, wurden dadurch gerettet, und es
zeigte sich, dass sie den Schatten als Waffengefährten hatten und selbst gegen den Tod
die Oberhand behielten. Die Zeichen retteten also jene, die vor uns waren.
Worin liegt aber das, was uns angeht, für die schließlich die Wahrheit aufgeleuchtet
ist, also Christus, der sein eigenes lebenspendendes Fleisch zur Teilhabe bereitstellt?
Ist das nicht allen klar? Es liegt nämlich in dem, was weit besser ist und deutlich
darüber hinaus geht. Und indem er die Bedeutung des Geheimnisses deutlich macht,
sagt unser Herr Jesus Christus: „Wahrlich, ich sage euch: Wer an mich glaubt, besitzt
ewiges Leben. Ich bin das Brot des Lebens. Eure Väter aßen das Manna in der Wüste
und starben. Das ist das Brot, das vom Himmel herabsteigt, auf dass jemand davon
esse und nicht sterbe. Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel hinabgestiegen ist.
Wenn jemand von diesem Brot isst, wird er in Ewigkeit leben. Und das Brot, das ich
geben werde, ist mein Fleisch für das Leben der Welt.“ Weil aber die aus dem Blute
Israels Mose für die Beschaffung des Manna bewunderten, welches zwar jenen, die da‐
mals in der Wüste weilten, hinabgesandt wurde, aber ein Zeichen des mystischen Se‐
gens erfüllte (das Gesetz ist ja ein Schatten), deshalb setzt unser Herr Jesus Christus
das Zeichen auf überaus kunstfertige Weise in seinem Wert herab, während er in Rich‐
tung Wahrheit drängt. Denn er sagt ja: ‚Nicht jenes war das Brot des Lebens, sondern
vielmehr ich, der ich aus dem Himmel komme, alles lebendig mache und denen, die
essen, auch durch das mit mir geeinte Fleisch mich selbst eingebe.‘ Das macht er aber
noch deutlicher, wenn er sagt: „Wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr das Fleisch des Men‐
schensohnes nicht esst und sein Blut nicht trinkt, habt ihr kein Leben in euch. Wer
mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat ewiges Leben, und ich werde ihn aufer‐
stehen lassen am letzten Tag. Denn mein Fleisch ist wahre Speise und mein Blut wah‐
rer Trank. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, bleibt in mir und ich in ihm.
Wie mich der lebendige Vater entsandt hat und ich durch den Vater lebe, wird auch
derjenige, der mich isst, leben.“
Achte nun darauf, dass er in uns bleibt und uns stärker als das Verderben macht,
indem er sich selbst hinab in unsere Leiber begibt, wie ich sagte, eben durch seinen
eigenen Leib, und dass er die ‚wahre Speise‘ ist, während der im Gesetz [zum Aus‐
druck kommende] Schatten und der ihm entsprechende Dienst keine Wahrheit bein‐
halten. Doch die Aussage des Geheimnisses ist einfach und wahr. Sie wird nicht durch
vielfältige Gedankenfunde bis hin zur Gottlosigkeit ausgekundschaftet, sondern ist
einfach, wie ich sagte. Wir glauben nämlich, dass der aus Gott, dem Vater, [gezeugte]
Logos, indem er sich mit dem Leib, der von der heiligen Jungfrau geboren wurde und
eine vernunftbegabte Seele besitzt, geeint hat (die Einung ist allerdings unaussprech‐
lich und in jeder Hinsicht geheimnisvoll), diesen zu einem Lebenspender gemacht hat,
da er der Natur nach als Gott Leben ist, auf dass er uns in geistiger und zugleich auch
in körperlicher Hinsicht zu Teilhabern seiner selbst werden lasse, uns stärker als das
Verderben mache und das Gesetz der Sünde, das in den Gliedern des Fleisches liegt,
außer Kraft setze. ‚Er verurteilte 〈nämlich〉 die Sünde im Fleisch‘, wie geschrieben
steht. Das aber gefällt, glaube ich, jenem, der aus unserer Sicht neu erfundene Lehren
aufstellt, in keiner Weise. Der bewegt sich wie ein Kalb, das nicht auf die Herde achtet,
allein auf das zu, was seiner Meinung entspricht, und setzt die Bedeutung des Geheim‐
nisses herab, indem er sagt: