(2) 1. Höre auch das andere ihrer Zeugnisse: ‚„Wenn sie nämlich erkannt hätten,
hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt.“ Sieh her: Er sagt ‚Herr der
Herrlichkeit‘. Er nennt nicht die Menschheit, sondern die Gottheit.‘ Das gehört aber
jenen, die sogar die sorgfältige Verbindung auseinanderreißen. Wenn du nämlich sagst,
dass nicht dieser Herr ist, sondern jener Herr ist, machst du aus Christus einen blo‐
ßen Menschen. Was sagst du also in kirchlicher Maske, Häretiker? Ist auch der Mensch
Herr oder nicht? Wenn er Herr ist, schließe dich dem Gesagten an. Wenn er aber nicht
Herr ist, weise nicht du, der du Christus zu einem bloßen Menschen machst, mir die
Lästerung zu!
2. Dann sagt er: Lasst uns hören, wie der selige Paulus deutlich ausruft, wer der
Gekreuzigte ist. Vernimm also die überaus eindeutige Aussage: „Und er ist nämlich“,
sagt er, „aus Schwäche gekreuzigt worden, lebt aber durch die Kraft Gottes.“ Wenn er
aus Schwäche gekreuzigt wurde, wer war schwach, Häretiker? Der Gott-Logos?
Er lässt sich hinfort zu abwegigen Gedanken und zu einer unrühmlichen Gesin‐
nung tragen, da er die Bedeutung des Geheimnisses in keiner Weise versteht, wie mir
scheint, sondern vielmehr vollständig seinen eigenen Überlegungen folgt und ver‐
mutlich fürchtet, dabei ertappt zu werden, etwas zu denken oder zu sagen, was zum
Richtigen oder zur Wahrheit führt. Er bringt nämlich die Aussagen der Rechtgläu‐
bigen gegen sich selbst, wie er zumindest glaubt, in Stellung und wird wieder einmal
dabei entdeckt, wie er Andersartiges festsetzt, was keiner unter denen, die gewohnt
sind, im Hinblick auf den Glauben den geraden Weg einzuschlagen, auch wenn ein
anderer es sagte, jemals ertragen könnte. Denn wir sagen zwar, dass der Gekreuzigte
‚Herr der Herrlichkeit‘ ist, und er ist es auch tatsächlich, doch wir meinen, da wir den
Logos Gottes zusammen mit dem mit ihm geeinten Fleisch, welches eine vernunft‐
begabte Seele besitzt, als unteilbar und als einen erkennen, dass er derjenige ist, der
sich 〈durch〉 seinen eigenen Leib selbst wie ein untadeliges Opfertier und ein überaus
wohlriechendes Rauchopfer Gott, dem Vater, darbrachte, wobei er den gegen uns
verfassten Schuldschein ans Holz nagelte. Es ist möglich, ihn durch die Stimme
Davids sprechen zu hören: „Opfer und Gaben wolltest du nicht, aber einen Leib hast
du mir bereitet. Brandopfer auch der Sünde wegen haben dir nicht gefallen. Dann
sprach ich: Siehe, ich komme – in der Buchrolle steht über mich geschrieben –, um zu
tun deinen Willen, Gott.“ Da die dem Gesetz entsprechende Anordnung bereits wir‐
kungslos war und nichts zustande brachte und Gott, dem Vater, die durch Blut [voll‐
brachten] Opfer nicht willkommen waren, sagt er, dass er sich einen Leib bereitete,
auf dass er, indem er ihn als Gegenwert für Rettung und Leben aller gibt, alle dem Tod
und dem Verderben entreiße und zudem auch den Sünden.
Daher sagen wir nun, dass der aus Gott, dem Vater, [gezeugte] Logos sich ent‐
schieden hat, für uns im Fleisch auch zu leiden den Schriften nach. Auf diese Weise
hat uns der überaus heilige Paulus in die Lehre eingeführt: „Der es in seiner Existenz
in Gestalt Gottes nicht für ein Beutestück hielt, Gott gleich zu sein, sondern sich
entäußerte, indem er die Gestalt eines Knechtes annahm, den Menschen gleich wurde.
Und indem er sich in seiner Erscheinung als Mensch zeigte, erniedrigte er sich selbst,
wobei er gehorsam wurde bis zum Tod, zum Tod am Kreuz. Deshalb hat Gott ihn
auch gewaltig erhöht.“ Betrachte doch nun, wie derjenige, der als Gott ‚in Gestalt
Gottes‘, des Vaters, ‚existiert‘, der ‚Abdruck seiner Hypostase‘ ist und in keiner Weise
zurücksteht, der in einer Gleichheit, die sich auf alle Bereiche erstreckt, existiert und
wahrgenommen wird, sich entäußert und sich freiwillig in die Erniedrigung hinab‐
begeben hat! Was sollte demnach, sag es, die Wesensart der Entäußerung sein, und in‐
wiefern hat er sich erniedrigt, als er ‚die Gestalt eines Knechtes annahm‘ und ‚gehor‐
sam bis zum Tod wurde, zum Tod am Kreuz‘? Oder ist es nicht allen klar, dass sich das
Hohe erniedrigt und nicht das, was von Haus und von Natur aus in Herabsetzung
existiert und erniedrigt ist? Und es entleert sich, glaube ich, was voll ist und keiner Sa‐
che bedürftig. Auch nimmt die Gestalt eines Knechtes an, was vor ihr der Natur nach
frei war. Und es zeigt sich auch als Mensch, wer sich vorher, als er es nicht war, nicht
als dies zeigte. Wer ist nun also der von Natur aus Hohe und der, der sich in die Er‐
niedrigung hinabbegibt? Wer ist der Volle, so dass er als jemand, der sich entleert hat,
wahrgenommen wird? Wer ist es, der jenseits der Maße der Knechtschaft steht, so
dass man sagt, er habe die Gestalt der Knechtschaft angenommen? Von wem wird,
weil er zuvor kein Mensch wie wir war, gesagt, dass er sich als dies zeigte? Es zu wa‐
gen, diese Dinge einem der Unsrigen, einem bloßen Menschen, zuzuschreiben, wäre
meiner Meinung nach wohl einfältig und wahrlich voll von äußerstem Unverstand. Es
sollte aber der höchsten Natur aller Wahrscheinlichkeit nach angemessen sein.
Der Logos Gottes hat indes aus lauter Güte uns gegenüber und aus Menschenliebe
seinen eigenen Leib für uns dargebracht und ist, als er ‚die Gestalt eines Knechtes
annahm‘, Gott, dem Vater, ‚gehorsam bis zum Tod geworden‘ und hielt es nicht für
verwerflich, sich dazu zu entscheiden, ‚im Fleisch zu leiden‘, obwohl er im Hinblick
auf die Natur als Gott leidensunfähig ist. Der da errötet jedoch in unverständiger Wei‐
se angesichts dessen gottgeziemender Absichten uns gegenüber und tut Unrecht, ob‐
wohl er glaubt, ehrfürchtig zu handeln. Er entfernt ihn nämlich vom Leiden, obwohl
kein anderer behauptet, er litte im Hinblick auf seine eigene Natur, und bemerkt
nicht, dass er es nicht zulässt, dass man ihn als Retter und Erlöser des Alls bekennt,
wenn derjenige, durch den wir durch das ehrwürdige Kreuz errettet und erlöst worden
sind, wirklich ein anderer Sohn und Herr ist, der für sich und separat neben ihm steht.
Und wenn es wirklich einfach ein Mensch ist und nicht vielmehr der aus Gott, dem
Vater, [gezeugte] Logos, der sich in menschlicher Gestalt gezeigt hat, soll er herkom‐
men. Er soll zeigen, dass der ebenfalls ‚in Gestalt des Vaters existiert‘ und zudem in
Gleichheit zu ihm (‚er hielt es‘ schließlich ‚nicht für ein Beutestück, Gott gleich zu
sein‘) und außerdem noch ‚die Gestalt des Knechtes angenommen hat‘ in dem Sinn,
dass er sie niemals hatte, und zur Entleerung gekommen sei in dem Sinn, dass er in
eigener Natur die Fülle besaß. Der Göttliches kündende Paulus sagt nämlich zweifels‐
ohne, dass derjenige, der in Gestalt Gottes, des Vaters, und Gleichheit zu ihm [exis‐
tiert], ihm sogar bis zum Tod gehorsam geworden ist, dem Tod am Kreuz.
Ist die Absurdität der Gedanken etwa nicht offensichtlich? Denn wenn der selige
Paulus uns gegenüber den Gekreuzigten ‚Herrn der Herrlichkeit‘ nennt, würde wohl
niemand sagen: ‚Er meint nicht die Menschheit, sondern die Gottheit.‘ Als einen Chris‐
tus, Sohn und Herrn der Herrlichkeit bekennen wir schließlich den aus Gott, dem
Vater, [gezeugten] Logos, der unseretwegen Mensch geworden ist und für uns auch im
Fleisch gelitten hat den Schriften nach. Wenn er jedoch die nicht unbeträchtliche An‐
klage erhebt, dass jene die ‚sorgfältige Verbindung‘, wie er selbst sagt, auseinander‐
reißen wollen, welche dem Gott-Logos den Begriff der Herrschaftlichkeit zuordnen,
sie zumindest von der Menschheit abrücken, wird er, da er ins Vergessen dessen, was
er sagte, verfällt, dabei ertappt, wie er den einen entzwei reißt, da er sich sogar um die
seiner Meinung entsprechende ‚sorgfältige Verbindung‘ wenig kümmert. Er fragt näm‐
lich törichterweise: ‚Ist auch der Mensch Herr oder nicht? Wenn er Herr ist, schließe
dich dem Gesagten an!‘
Wenn also entsprechend deiner unverständigen Frage der Logos für sich Herr ist,
aber auch der Mensch Herr ist, sind es im Ganzen gewissermaßen zwei Herren und
Söhne. Die Wirkung der ‚sorgfältigen Verbindung‘ bringt den Gläubigen daher in kei‐
ner Weise Nutzen, wenn es darum geht, einen Christus, Herrn und Sohn zusammen
mit dem mit ihm geeinten Fleisch wahrnehmen zu müssen. Wenn nämlich die Person
des Immanuel vorliegt und ins Blickfeld gerückt worden ist, nehmen wir, auch wenn
jemand ‚Mensch‘ sagt, den aus Gott, dem Vater, [gezeugten] Logos wahr, der die
‚Gestalt eines Knechtes‘ angenommen hat, und sagen, dass er sich aus den Maßen der
Knechtschaft heraus offenbart. Und wenn auch ‚einziggeborener Gott‘ [gesagt wird],
glauben wir, dass es derselbe ist, der Mensch und auch schon Fleisch geworden ist.
Doch er weist ja, wie ich sagte, einem Menschen, der einzeln, allein und für sich neben
dem aus dem Vater [gezeugten] Logos wahrgenommen wird, die guten Werke des mit
dem Fleisch verbundenen Heilsplans zu und sagt, dass der für uns das Kreuz auf sich
genommen habe, und versichert, dass er ‚Herr der Herrlichkeit‘ sei, wobei er der
bloßen Schöpfung die Ruhmestaten der höchsten Natur umlegt. Es sagt nämlich:
‚Lasst uns hören, wie der selige Paulus deutlich ausruft, wer der Gekreuzigte ist! „Und
er ist nämlich aus Schwäche gekreuzigt worden, lebt aber durch die Kraft Gottes.“ Wer
war schwach? Der Gott-Logos, Häretiker?‘
Es besteht nun unsererseits der Glaube, dass der aus Gott, dem Vater, [gezeugte]
Logos keinerlei Anteil an jedweder Schwäche hat. Schließlich ist er selbst ‚Herr der
Heerscharen‘. Sag mir allerdings Folgendes: Fürchtest du dich, den Begriff der Schwä‐
che auf ihn anzuwenden? Aus welchem Grund, wenn doch der mit dem Fleisch ver‐
bundene Heilsplan ihn davon befreit, getadelt werden zu müssen, auch wenn gesagt
wird, er litte etwas von den Dingen, die neben seiner Natur und Herrlichkeit liegen?
Denn wenn er, ‚der reich ist, arm geworden‘ und wie wir geworden ist, indem er die
‚Gestalt eines Knechtes‘ annahm, ist das, auch wenn man sagt, dass er im Hinblick auf
das menschliche Element Schwäche zeigte, nichts Ungebührliches, so dass du den
Reichen, der arm geworden ist, siehst, den Erhabenen in der Erniedrigung, den Herrn
der Heerscharen in der uns entsprechenden Schwäche. Vielmehr ist das Geheimnis,
das ihn betrifft, deswegen bewundert worden. Warum wird denn gesagt, dass er sogar
gehungert habe, wo er doch selbst ‚Brot des Lebens‘ und ‚aus dem Himmel herabge‐
stiegen ist und der Welt Leben gab’? Auf welche Weise ist jener ‚von der Reise müde
geworden‘,der mit seinem eigenen Geist die Himmel befestigt?
Du wirst es jedoch vermutlich nicht aushalten, wenn solche Dinge über den Einzig‐
geborenen selbst gesagt werden. Dennoch entdecke ich, wenn ich deine Worte unter‐
suche, dass sie wie aus der Person des Einziggeborenen heraus eindeutig aussagen: