(5) Dieser ist es, der den Dornenkranz aufgesetzt bekam. Dieser ist es, der sprach:
„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Dieser ist es, der ein drei‐
tägiges Ende auf sich genommen hat.
Da er selbst nun sein eigenes Ziel verfolgt, sagt er solche Dinge. Wir aber werden
ihm auf recht kluge und wahrhaftige Weise den Immanuel als den Retter und Erlöser
der ganzen Welt präsentieren. Der Logos wurde nämlich, wie wir schon mehr als oft
sagten, Fleisch, und nachdem er sich einen Leib, der Misshandlungen und den Tod er‐
leiden konnte, zu eigen gemacht hatte, gab er ihn für uns und „nahm“, wie der Gött‐
liches kündende Paulus sagt, „das Kreuz auf sich, da er die Schande verachtete.“ War es
denn keine Schande und gleichsam eine Demütigung für den Allmächtigen, den Le‐
benspender, für denjenigen, der eine Natur besitzt, die über den Leiden steht, dem
Anschein nach aus menschlicher Schwäche heraus gekreuzigt zu werden und dem
Fleisch nach dem Tod anheimzufallen? Und daher spricht er an einer Stelle durch die
Stimme Jesajas: „Meinen Rücken habe ich den Peitschenhieben dargeboten, meine
Wangen den Schlägen und mein Gesicht nicht abgewendet von der Schande der Be‐
spuckung.“ Und dann wieder: „Dadurch wurde ich nicht gedemütigt, sondern habe
mein Gesicht zu einem harten Fels gemacht, und ich weiß, dass ich nicht zuschanden
werden soll, weil jener nahe ist, der mich gerechtfertigt hat.“ Sofern es nämlich nach
den unfrommen Scharen der Hellenen und natürlich auch der Juden geht, wird das
Geheimnis Christi für ein ‚Ärgernis‘ und zugleich für ‚Torheit‘ gehalten. Die Elenden
belächeln nämlich das ehrwürdige Kreuz. Doch das Ende dessen, was ihnen Schwäche
zu sein scheint, ist auf eine Macht des Ruhmes hinausgelaufen, der Gott im höchsten
Maße geziemt. Er hat nämlich durch die Auferstehung von den Toten Zeugnis für sich
abgelegt, dass er Gott ist und in Wahrheit Gottes Sohn, da er stärker ist als Tod und
Verderben, und wird zusammen mit dem Erzeuger von allen verehrt.
Höre aber die Heilige Schrift uns ebendies zurufen: „So spricht der Herr: Heiligt
jenen, der sein Leben geringschätzt, der verabscheut wird von den Völkern der Knech‐
te der Herrscher. Könige werden ihn sehen und Herrscher werden sich erheben und
ihn verehren.“ Bekennt, sagt sie, dass jener, der sein eigenes Leben geringschätzt, das
heißt sein eigenes Leben verachtet, als Gott der Natur nach heilig ist! Er hat es näm‐
lich als guter Hirte für seine Schafe eingesetzt. Jenen, den die Völker verabscheuen,
den die Knechte und die Diener mit Schlägen misshandelt haben, während die Menge
der Pharisäer sich ihm gegenüber in unfrommer Weise wie Trunkene aufführt, den
werden Könige sehen und sich erheben. Diesen verehren die Herrscher, nämlich als
Gott, der in die Entäußerung hinabgekommen ist, um dadurch, dass er im Fleisch
gelitten hat, die [Welt] unter dem Himmel zu erretten. Dieser ist es, der für uns den
Dornenkranz aufgesetzt bekam. Dieser und kein anderer ist jener, der auf menschliche
Art gekreuzigt wurde und sprach: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich ver‐
lassen?“,aber auf göttliche Weise das Licht der Sonne unterdrückte und es mitten am
Tag Nacht werden ließ, auf dass wir ihn nicht einfach als einen Menschen, der deiner
Meinung nach durch eine bloße Verbindung geehrt wird, die mit dem aus Gott [ge‐
zeugten] Logos meine ich, bekennen, sondern vielmehr glauben, dass er Gott ist in
einer Erscheinung, die uns entspricht, und ‚in der Gestalt eines Knechtes‘, weil wir an
die heilige Stimme denken, die da spricht: „Ich werde den Himmel in Dunkelheit hül‐
len und sein Kleid wie einen Sack machen.“ Denn jener, der spricht, ist selbst zugegen
und hat als Gott das Kommende im Voraus verkündet. Er kam in der Zeit zur Fülle, als
er auf menschliche Art gekreuzigt wurde. Der Himmel legte sich nämlich die Dunkel‐
heit gleichsam als Trauergewand an. Und indem die Sonne den Glanz der Strahlen
jenen nicht mehr gewährte, die sich erdreistet hatten, sich trunken gegen den Herr‐
scher und Gott des Alls zu gebaren, zeigte sie im Voraus die Dunkelheit an, die ihnen
Verstand und Herz umfangen sollte. Denn auch der selige David singt an einer Stelle
über sie: „Ihre Augen sollen sich verfinstern, dass sie nicht sehen, und du sollst ihren
Rücken immerfort beugen.“
Es zerriss aber auch der Vorhang des Tempels. Er offenbarte denen, die an ihn glau‐
ben, bereits das Allerheiligste und zeigte das Innerste, als ob das erste Zelt keinen Be‐
stand mehr hätte und sich bereits der Weg des Heiligen aufgetan hätte, nämlich jener,
der zum Allerheiligsten führt. Heilig war nämlich dem Einvernehmen nach auch das
Gesetz, weil es auch der Regulator der Gerechtigkeit war. Es wurde aber auch zum
Erzieher, der auf Christus verweist. Als unvergleichlich heiliger wird aber das Leben in
Christus betrachtet und als vorzüglicher gegenüber dem Gottesdienst in Schatten und
in Umrissen und als diesem überlegen der [Gottesdienst] im Geist und in Wahrheit.
Ist diese Form des Gelingens nicht gottgeziemend und übersteigt sie nicht die Natur
des Menschen? Hat das heilsame Leiden nicht ‚das wirbelnde Schwert‘ beschämt und
den Menschen zurück ins Paradies geführt? Schließlich sagte Christus zu dem Räuber,
der zusammen mit ihm aufgehängt worden war: „Heute wirst du zusammen mit mir
im Paradies sein.“Leuchtete er nicht für jene, die in Dunkelheit waren, auf, indem er
mit Macht ausrief: ‚Kommt hervor!‘? Er hat nämlich als Gott den Hades entleert und
jene, die darin waren, aus der Gefangenschaft entlassen. Und er selbst war es, der einst
dem ganz und gar bemitleidenswerten Ijob zurief: „Bist du zur Quelle des Meeres ge‐
kommen? Bist du auf den Spuren des Abgrundes gewandelt? Öffnen sich dir die
Pforten des Todes aus Furcht? Duckten sich die Wächter des Hades, als sie dich er‐
blickten?“
Warum errötest du also nicht, wenn du das immer noch 〈...〉 Gottgeziemende einem
der Unsrigen und nur einem Menschen zuweist? Dass nämlich der Logos Gottes
selbst, nachdem er ‚die Gestalt eines Knechtes angenommen‘ hatte und ‚des Fleisches
und Blutes teilhaftig geworden‘ war, es ertrug, seinen eigenen Leib unseretwegen dem
Tod zu überlassen und, obwohl er der Natur nach leidensunfähig ist, im Fleisch frei‐
willig gelitten hat, soll der überaus weise Paulus beglaubigen, wenn er schreibt: „In‐
dem ihr dem Vater Dank sagt, der uns vorbereitet hat auf das Erbteil der Heiligen im
Licht, der uns aus der Macht der Finsternis errettet und in das Reich des Sohnes seiner
Liebe versetzt hat, durch den wir Erlösung, die Vergebung der Sünden, haben, der Ab‐
bild des unsichtbaren Gottes, Erstgeborener der gesamten Schöpfung ist, weil durch
ihn alles erschaffen worden ist, das in den Himmeln und das auf der Erde, das Sicht‐
bare und das Unsichtbare, seien es Throne, Herrschaften, Reiche oder Mächte. Das
alles ist durch ihn und auf ihn hin erschaffen. Und er selbst ist vor allem, und alles
besteht in ihm. Und er selbst ist das Haupt des Leibes der Kirche. Er ist der Anfang,
Erstgeborener aus den Toten, um derjenige zu werden, der in allem selbst den ersten
Platz einnimmt.“ Da siehst du es, und zwar ganz deutlich: Der Priester seiner Ge‐
heimnisse sagte also, dass der Gott-Logos, durch den alles und in dem alles ist, der ein
‚Abbild des unsichtbaren Gottes ist‘, der, durch den ‚das in den Himmeln und das auf
der Erde‘ zur Existenz gebracht wurde, ‚das Sichtbare und das Unsichtbare‘,der ‚vor
allem‘ war,‚in dem alles besteht‘, selbst der Kirche zum Haupt gegeben wurde und
selbst der ‚Erstgeborene aus den Toten‘ ist.
‚Aber‘, wirst du vielleicht sagen, ‚der aus Gott, dem Vater, [gezeugte] Logos ist der
Natur nach Leben. Wie oder auf welche Weise sollte da das Leben sterben?‘ Nun gut:
Die Frage ist notwendig und hilfreich. Im Hinblick auf die Bedeutung des Geheim‐
nisses wird also nützlicherweise angenommen, dass man denkt und sagt, dass der ewig
lebende und lebenspendende Logos Gottes Fleisch geworden ist, das heißt sich den
Leib, der empfänglich für den Tod war, zu eigen gemacht hat, auf dass er selbst als
leidend wahrgenommen werde, weil sein eigener Leib gelitten hat. Daher sagen wir
nämlich, dass er zum ‚Erstling der Entschlafenen‘ und zum ‚Erstgeborenen aus den
Toten‘ geworden ist. Man sagt ja, dass er, der die Toten auferstehen lässt, zusammen
mit uns ob des eigenen Fleisches ins Grab gelegt wurde, auf dass wir zusammen mit
ihm auferweckt würden. Diesen Weg hat er nämlich für uns erneuert und aus diesem
Grund hat er sich erniedrigt, indem er sich in die Entäußerung und zusammen mit uns
in die Menschheit hinabbegeben hat, obwohl der Einziggeborene von Natur aus Gott
und aus Gott, dem Vater, erschienen ist.
Aber er glaubt vermutlich, dass jene, die zu der Ansicht gekommen sind, dass sich
dies so verhält, und es für wahr erachten, zum äußersten Punkt schwerster Umnebe‐
lung gekommen seien. Indem er aber bei jeder Gelegenheit damit hervorkommt, dass
wir den aus Gott, unserem Vater, [gezeugten] Logos als leidensunfähig bekennen müs‐
sen, rückt er, und zwar in jeder Hinsicht, die Besonderheit des Heilsplans von ihm ab
und hält es nicht für angebracht, beispielsweise zu denken oder zu sagen, dass er für
uns gelitten hat, obwohl die göttlich inspirierte Schrift besagt, dass er – sowohl lei‐
densunfähig als auch körperlos – für uns im Fleisch gelitten hat, weil der ihm eigene
und mit ihm geeinte Leib gelitten hat. Er sprach aber wiederum folgendermaßen: