CV24: Kyrills Brief an Klerus und Volk von Konstantinopel

Inhalt: Kyrill ermahnt den Klerus und das Volk von Konstantinopel, von den Lehren des Nestorius, die durch den Bischof von Rom und eine alexandrinische Synode verurteilt worden sind, Abstand zu nehmen und an dem von Alters her tradierten Glauben festzuhalten.

Edition: Collectio Vaticana 24, ACO I,1,1 S. 113,2–114,16; ältere Edd.: Labbé/Cossart (1671–1672), Bd. 3 Sp. 419–422; Coleti (1728–1734), Bd. 3 Sp. 968f.; Mansi, Bd. 4 Sp. 1093–1096; PG 77, 124f.

Verzeichnisnummern: CPG 5318

Verfasser: Kyrill von Alexandria

Datierung: August bis November 430

Lat. Übersetzungen: Collectio Casinensis 9, ACO I,3 S. 35–37

Literatur: Price/Graumann (2020), S. 171–173

Brief des heiligen Kyrill, geschrieben an den Klerus und das Volk von Konstantinopel, in welchem er
schreibt, dass sie sich nicht der gottlosen Lehre des Häretikers Nestorius zuwenden und keine
Gemeinschaft mit ihm haben sollen, wenn er Wolf statt eines Hirten bleibt, sondern vielmehr
mannhaft sein und ihren Glauben in unverrückter Form bewahren sollen. Ferner schreibt er noch,
dass jene, die von Nestorius verbannt worden seien, der Gemeinschaft angehören, wenn sie dessen
Lehre widersagen:

Der Bischof Kyrill und die Synode, die in Alexandria aus der ägyptischen Diözese
zusammengekommen ist, grüßen die geliebten und ersehnten Presbyter und Diakone
und das Volk von Konstantinopel im Herrn.

Spät und nur mit Mühe sind wir dahin gekommen, wohin man besser schon in den
Anfängen gekommen wäre, nämlich Sorge für unser aller Rettung zu tragen und dafür,
die Unruhe, die den Glauben betrifft, nicht zu erdulden. Und wir entschuldigen uns
für all euren Kummer, der dadurch entstanden ist. Wir haben nämlich die verstrichene
Zeit nicht ohne Tränen verbracht, allerdings in der Erwartung, dass sich der überaus
fromme Bischof Nestorius aufgrund der kirchlichen Ratschläge und Ermahnungen
und unser aller Widerspruch von seinen gänzlich misstönenden Lehren entfernen wür­
de und zusammen mit uns den Glauben in Ehren hielte, der den Gemeinden von den
heiligen Aposteln und Evangelisten überliefert worden ist, ebenso von der gesamten
Heiligen Schrift, und der durch die Stimmen der heiligen Propheten im Hinblick auf
seine Richtigkeit besiegelt worden ist. Da wir aber aufgrund dessen, was er bei euch in
der Gemeinde ohne Unterlass von sich gibt, und aufgrund seiner schriftlichen Aus­
führungen herausgefunden haben, dass er in die Irre geht und sich im Hinblick auf
den Glauben in nicht unbeträchtlichem Maße gottlos verhält, sind wir schließlich
notgedrungen dahin gekommen, ihm durch ein synodales Schreiben bescheinigen zu
müssen, dass, wenn er nicht schleunigst von seinen Neuerungen Abstand nehme und
innerhalb der von dem überaus heiligen und frommen Bischof der römischen Kirche
Coelestin festgesetzten Frist jene Dinge schriftlich verdamme, die er bei euch gesagt
und in Büchern, welche auch uns vorliegen, niedergelegt hat oder niederzulegen sich
anschickte, er keinen Ort der Gemeinschaft mit den Priestern Gottes habe, sondern
allen fremd sein soll.
Niemand soll das Vorhaben tadeln. Denn wir haben kein Auge
mehr zugetan, solange eine so große Herde – vielmehr sogar die Völker und Gemein­
den aus allen Teilen der Welt – in Unruhe ist, sondern uns ein Vorbild an jenen genom­
men, die in der Kunst der Ärzte Erfahrung haben und die Leiden, die in den Körpern
entstehen, nicht sofort den Zwängen durch Eisen oder Feuer unterwerfen, sondern in
den Anfängen durch milde Mittel lindern und den rechten Zeitpunkt für den chirurgi­
schen Eingriff abwarten.

Seid also mannhaft im Herrn und bemüht euch, indem ihr euren Glauben in unver­
rückter Form bewahrt, Christus, dem einen und alleinigen und wahrhaften Sohn Got­
tes, zu gefallen, und behaltet dabei auch unsere heiligen Väter im Gedächtnis, die bei
euch auf rechte und heilige Weise das Priesteramt ausgeübt haben und, während sie
umhergingen, die heilige Jungfrau {auch} Gottesgebärerin nannten (sie hat schließlich
den Immanuel geboren, welcher wahrhaft Gott ist; der Logos wurde ja Fleisch und ist
fleischlich von einer Frau geboren worden, auf dass wir als Brüder dessen befunden
würden, der über der gesamten Schöpfung steht). Und sie verkündeten unter euch kei­
ne zwei Christi, sondern einen, in einer Person Gott-Logos und Mensch, dem Fleisch
nach von einer Frau – nicht als Menschen, der durch eine bloße Verbindung wie
aufgrund einer Gleichheit an Würden mit Gott verbunden ist
(das sind nämlich die
frostigen, nutzlosen und altweiberhaften Lehren jenes Mannes). Sie sagten stattdessen,
dass ein und derselbe fleischlich den Tod erlitten hat und auferstanden ist, indem er
die Macht des Todes auf göttliche Weise mit Füßen getreten hat. Und sie sagten, er
werde als Richter des Alls kommen.

Wenn ihr diesen Glauben immer wieder neu entzündet, bewahrt ihr euch in einem
unbefleckten und tadellosen Zustand, da ihr weder Gemeinschaft mit dem Ermahnten
habt noch ihm wie einem Lehrer Aufmerksamkeit schenkt, wenn er Wolf statt eines
Hirten bleiben
und nach diesem unserem Aufruf hier, der an ihn ergangen ist, sich
entscheiden sollte, dieses verdrehte Zeug zu denken. Mit jenen aber unter den Kleri­
kern oder Laien, die wegen des rechten Glaubens von ihm verbannt oder verdammt
worden sind, haben wir Gemeinschaft,
da wir dem ungerechten Urteil keinen Wert
beimessen, sondern vielmehr jene loben, die gelitten haben, und ihnen Folgendes sa­
gen: „Wenn ihr im Herrn geschmäht werdet, seid ihr glückselig, weil der Geist der
Macht und Gottes auf euch
zur Ruhe gekommen ist.“

1–6 in … widersagen]

Die sicherlich sekundäre Überschrift präsentiert sich in diesem Falle interessanterweise gleichsam schon als kleines ‚abstract‘ des Briefes.

24–30 ihm … soll‌¹]

Vgl. CV6,2,1, ACO I,1,1 S. 33,22–34,6 (Dok. 36), wobei Kyrill an dieser Stelle im Wesentlichen den Schluss des ent­spre­chen­den Briefes Coelestins an Nestorius referiert (vgl. CVer2,18,9 – 17, ACO I,2 S. 12,6–12 [Dok. 30]).

31 große Herde]

Coelestin hatte Kyrill in seinem diesem Schreiben vorangehenden Brief an ihn unter Bezug auf Joh 10 ausdrücklich attestiert, dass er in seinen Augen ein guter Hirte sei (vgl. CVer1,2,9, ACO I,2 S. 5,20 [Dok. 29]), und dort auch noch an anderen Stellen (vgl. bes. CVer1,5,4 – 11, ACO I,2 S. 6,9–14) eine an dieses Motiv angelehnte Metaphorik verwendet.

34–36 nicht … abwarten]

Eine solche Stufenfolge der medizinischen Eingriffe hatte Kyrill bereits in seinem Kommentar zu den zwölf Propheten skizziert (vgl. Hos. 4, Pusey [1965 (= 1868–1877)], Bd. 1 S. 135,13–15; 7, S. 267,14–17). Im unmittelbaren Kontext des hier kommentierten Schreibens fällt jedoch eher auf, dass auch Coelestin in seinen Briefen an Nestorius und Kyrill auf medizinische Metaphern der hier ver­wen­de­ten Art zurückgreift (vgl. z.B. CVer1,6,5, ACO I,2 S. 6,16–18 [Dok. 29; mit eindeutigem Bezug auf Mt 5,29]; CVer2,8,1 – 3, ACO I,2 S. 9,8f. [Dok. 30]).

37 Seid … mannhaft]

ἀνδρίζεσθε: vgl. 1 Kor 16,13.

41 auch]

Von Schwartz aufgrund des Fehlens in einigen Textzeugen athetiert.

46–47 der … ist]

Zu möglichen Hintergründen von Vorwürfen dieser Art vgl. z.B. Loofs, Nestoriana S. 275,1–15 (= CV166,II,8,1, ACO I,1,6 S. 44,8–16 [Dok. 25] = CV60,VIIII, ACO I,1,2 S. 48,4–10).

54–55 wenn … bleiben]

Vgl. oben Anm. zu CV24,31.

56–58 Mit … Gemeinschaft]

Vgl. CV6,2,16 – 18, ACO I,1,1 S. 34,9–11 (Dok. 36).

60–61 Wenn … ist]

1 Petr 4,14.

61 zur … ist]

In einigen Handschriften folgt auf dieses Do­ku­ment eine Notiz, die in der Schwartzschen Ausgabe als CV24a gezählt wird und folgenden Inhalt hat: „Nachdem aber Coelestin, der Erzbischof von Rom, die Quaternionen mit den Exegesen über Antiochus von Nestorius erhalten und entdeckt hatte, dass sie voll von Lästerungen sind, und dazu auch noch von dem Erzbischof Kyrill daran erinnert worden war, dass ebendieser Nestorius weder Rat noch Ermahnung annehme, wenn es darum ginge, das Richtige und nicht das Gegenteil zu den­ken, schrieb ihm auch Coelestin selbst einen exkommunizierenden Brief, wobei er eine Frist von zehn Tagen festlegte. Der Brief selbst lautet: Für manche Zeit unseres Lebens und so weiter.“ (vgl. Anm. zu CVer2,1,1 [Dok. 30]

Die Akten des Konzils von Ephesus 431. Übersetzung, Einleitung, Kommentar

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