Auf die Lehre der Frömmigkeit richtet sich die Aufmerksamkeit der Verständigen
in der Kirche, [Inhalt der] Lehre der Frömmigkeit ist aber [auch] die Erkenntnis der
Vorsehung. Denn derjenige erkennt die Vorsehung Gottes, der erfasst hat, dass Gott
der Beschützer der Körper und der Seelen ist. Wie viele auch immer, die dies nicht
wissen, also Gott anbeten, es ist offenkundig, dass sie die Wahrheit nicht kennen.
Denn „sie bekennen, dass sie um Gott wissen, in ihren Taten aber leugnen sie es“, wie
es geschrieben steht.
Der Schöpfer aber muss Sorge für die tragen, die er geschaffen hat. Der Herr muss
denen, über die er herrscht, [aufmerksame] Fürsorge angedeihen lassen. Der Hausherr
muss der Verteidiger seines Hauses sein. Unser Leben ist der Erhabenheit dieser so
bedeutenden Herrschaft nicht ebenbürtig. Gott, der Schöpfer, formt mich schließlich
im mütterlichen Leib und ist mir, der ich mich in jener Abgeschiedenheit des
Mutterleibs befinde, der erste und höchste Schutz. Ich werde geboren und finde die
Quellen der Milch. Ich beginne, des Zerkleinerns der Speisen zu bedürfen, und finde
mich mit entsprechenden Messern, nämlich den Zähnen, bewaffnet. Ich existiere als
Mann, und es zeigt sich, dass die Schöpfung mir abgabenpflichtig ist. Denn von unten
nährt mich die Erde und vom Himmel her wird mir eine Leuchte entzündet, die
Sonne, die Zeit des Frühlings bringt mir Blumen, der Sommer reicht mir die Ähre dar,
der Winter erzeugt Regen und der Herbst zahlt seine Abgabe in [Form von] Wein. Da
wir nun ein ungleiches, aus Armut und Reichtum bestehendes Leben führen (denn
nicht anders hätte das Sterbliche bestehen können), siehe welcher 〈und〉 ein wie
umfänglicher Schutz uns jetzt in eben diesen [Verhältnissen] zuteil wird. Leicht
zwingt die Fäulnis des Getreides den Reichen dazu, es aus Furcht vor dem Verderben
an die zu verkaufen, die es brauchen. Die veränderliche Natur des Weines veranlasst
den Besitzer, aus Angst vor Verlust einen Handel einzugehen. Das Gold ist deshalb frei
von Fäulnis und widersteht der Zeit, weil es, wenn es zurückgehalten wird, dem
Armen nicht schadet. Denn was verletzen mich Reichtümer, solange nur die Reichen,
[auch] wenn sie ihr Gold [für sich] zurückbehalten, veranlasst werden zu verkaufen,
was mich nährt?
Das mit zehntausend Gaben geehrte menschliche Geschlecht wurde mit dem
größten und unbegrenzten Geschenk der Fleischwerdung des Herrn geziert. Denn da
‚der Mensch das Abbild der göttlichen Natur‘ ist, der Teufel dieses aber zu Fall
gebracht und in die Verderbtheit hinabgestoßen hat, hat Gott seines Abbildes wegen
Schmerz empfunden wie ein König um seiner eigenen Statue willen, und er stellte das
verdorbene Abbild wieder her. Er formte die Natur ohne Samen aus der Jungfrau, so
wie auch Adam, der selbst ebenfalls ohne Samen geformt wurde, und bewirkte die
Erweckung des menschlichen Geschlechts durch einen Menschen, „weil ja“, heißt es,
„durch den Menschen der Tod und durch den Menschen die Auferstehung von den
Toten [gekommen ist]“.
[S. 30:] Das mögen diejenigen hören, die hinsichtlich des Heilsplans der Fleisch‐
werdung des Herrn verblendet „nicht verstehen, was sie sagen und was sie behaupten“.
Diese erkundigen sich, wie wir gerade erfahren haben, häufig abwechselnd bei uns: Ist
Maria θεοτόκος, fragen sie, das heißt eine Frau, die einen Gott zur Welt gebracht hat,
bzw. Gottesgebärerin, oder ist sie ἀνθρωποτόκος, das heißt Menschengebärerin? Hat
Gott eine Mutter?Das Heidentum hat den Göttern nämlich entschuldbar Mütter
untergeschoben. Demnach würde Paulus unwahr über die Gottheit Christi sagen
ἀπάτωρ, ἀμήτωρ, ἀγενεαλόγητος, das heißt „ohne Vater, ohne Mutter, ohne Stamm‐
baum“.Maria hat, bester Mann, nicht Gott geboren (denn „was vom Fleisch geboren
wurde, ist Fleisch“); nicht hat das Geschöpf ihn, der nicht erschaffbar ist, geboren;
nicht hat der Vater ein neues göttliches Wort aus der Jungfrau gezeugt (denn „am An‐
fang war das Wort“, wie Johannes sagt); nicht hat das Geschöpf den nicht Erschaff‐
baren geboren, sondern es hat den Menschen als Werkzeug der Gottheit geboren;
nicht hat der Heilige Geist das göttliche Wort erschaffen („denn was aus ihr geboren
wurde, ist vom Heiligen Geist“), sondern für das göttliche Wort wurde ein Tempel aus
der Jungfrau gefertigt, den es bewohnen sollte.
Und der Fleisch gewordene Gott ist nicht gestorben, sondern er hat jenen, in dem
er Fleisch geworden ist, auferweckt. Er hat sich herabgebeugt, um aufzuheben, was
gestürzt war, er selbst aber ist nicht gefallen („der Herr hat aus dem Himmel
hervorgeschaut auf die Söhne der Menschen“), so dass er nicht getadelt werden kann,
er sei, indem er sich herabneigte, um den Angeklagten aufzuheben, der gefallen war,
gleich jenem selbst gestürzt. Gott sieht die gefallene Natur und er hat sie, die am
Boden lag, mit der Kraft der Gottheit ergriffen und in die Höhe emporgehoben,
wobei er sie festhielt und [doch] blieb, was er war. Erkenne an einem Beispiel, was
gesagt wurde. Wenn du einen am Boden Liegenden aufheben willst, berührst du dann
nicht [seinen] Körper mit [deinem] Körper und richtest dich selbst, durch die
Verbindung mit jenem niedergedrückt, wieder auf und bleibst, [immer noch] so mit
ihm verbunden, [doch] selbst, was du warst? Glaube, dass es sich so auch mit jenem
Geheimnis der Inkarnation [verhält]!
Des Tragenden wegen verehre ich jene Kleidung, die er trägt, und des verborgenen
[Inneren] wegen bete ich an, was außen sichtbar ist. Untrennbar von dem, der sich den
Augen zeigt, ist Gott. Wie also könnte ich es wagen, die Ehre und Würde dessen
aufzuspalten, der nicht geteilt werden kann? Ich unterscheide die Naturen, aber ich
verbinde die Verehrung. Achte auf das, was gesagt wird! Nicht kraft seiner selbst ist
Gott, der im Mutterleib geformt wurde (denn wenn es so wäre, wären wir wahrhaft
Verehrer eines Menschen), sondern weil in dem Angenommenen Gott ist, wurde um
jenes willen, der angenommen hat, [auch] der ‚Gott‘ genannt, der angenommen
wurde. Daher wollen wir vor der Fleischwerdung des Herrn erbeben, τὴν θεοδόχον τῷ
θεῷ λόγῳ συνθεολογῶμεν μορφήν, das heißt, 〈wir werden〉 die zur Aufnahme Gottes
befähigte Hülle auf ein und dieselbe 〈Weise〉 als Gottheit 〈verehren〉 wie das göttliche
Wort, gleichsam als wahrhaft untrennbares Bildnis der Göttlichkeit, gleichsam als
Abbild des verborgenen Richters. Wir wollen ihn als einen Zweifachen bekennen und
als einen einzigen anbeten; denn er ist zweifach hinsichtlich der Naturen, ein einziger
gemäß der Vereinigung. Höre Paulus, der beides verkündigt, dass [nämlich] sowohl die
Ewigkeit der eingeborenen Gottheit als auch die neu entstandene Menschheit in
[ihrer] Gemeinschaft und Vereinigung zu einer einzigen Würde gelangt sind: „Jesus“,
sagt er, „gestern und heute, und eben derselbe in Ewigkeit.“
Ende.