CV1: Kyrills Brief an die ägyptischen Mönche

Inhalt: Da ihm zu Ohren gekommen ist, dass sich in Ägypten die Lehre verbreitet, Maria, die Mutter Jesu, dürfe nicht als Gottesgebärerin bezeichnet werden, wendet sich Kyrill in einem Brief an die Mönche des Landes. Er versucht, dieser Tendenz entgegenzuwirken, indem er auf der Grundlage des Nizänums (Kap. 6) anhand zahlreicher Bibelstellen mit großem rhetorischen Aufwand darlegt, dass die Mutter Christi den ihr in Abrede gestellten Titel vollkommen zu Recht trage.

Edition: Collectio Vaticana 1, ACO I,1,1 S. 10,1–23,22; ältere Edd.: Labbé/Cossart (1671–1672), Bd. 3 Sp. 20–45; Coleti (1728–1734), Bd. 3 Sp. 585–613; Mansi, Bd. 4 Sp. 588–617; PG 77, Sp. 9–40

Verzeichnisnummern: CPG 5301

Verfasser: Kyrill von Alexandria

Datierung: Frühjahr 429

Lat. Übersetzungen: Collectio Casinensis 1, ACO I,3 S. 3–16

Literatur: Liébaert (1970), S. 35–48; McGuckin (1994), S. 245–261; Graumann (2002a), 280–299

(4) Ich bin also verwundert, dass überhaupt einige im Zweifel darüber sind, ob die
heilige Jungfrau denn nun Gottesgebärerin genannt werden könne oder nicht. Denn
wenn unser Herr Jesus Christus Gott ist, warum die Jungfrau, die [ihn] geboren hat,
nicht Gottesgebärerin?
Diesen Glauben haben uns die Göttliches kündenden Jünger
überliefert, selbst wenn sie den Ausdruck nicht erwähnt haben. So zu denken haben
wir von den heiligen Vätern gelernt. Und wenigstens unser Vater ruhmreichen Ange­
denkens Athanasius, der den Thron der Kirche von Alexandria auf eine Zeit von vollen
sechsundvierzig Jahren in der Summe schmückte, der den Spitzfindigkeiten der
gottlosen Häretiker ein unerschütterliches apostolisches Urteil entgegensetzte, der
mit seinen eigenen Schriften die Welt unter dem Himmel wie mit wohl duftendem Öl
erfreute und unter allseitiger Bestätigung der Richtigkeit und Genauigkeit der Lehr­
sätze die bekannte Schrift über die uns heilige und wesenseine Trinität verfasst hat, 
nennt in der dritten Rede an zahlreichen Stellen die heilige Jungfrau Gottesgebärerin.
Ich werde mich somit notgedrungen seiner Äußerungen bedienen, die Wort für Wort
folgendermaßen lauten:

„Es ist also hier Ziel und Eigenart der Heiligen Schrift, wie wir schon oft gesagt
haben, dass die Verkündigung, die sich auf den Retter bezieht, in sich zweifach ist,
dass [nämlich] der Sohn immer Gott war und ist, da er Logos,
‚Abglanz‘ und ‚Weis­
heit‘
des Vaters ist, und dass er später, indem er unseretwegen Fleisch von der
gottgebärenden Jungfrau Maria angenommen hat, Mensch geworden ist.“

Und später wiederum: „Viele zeigen sich also heilig und rein von aller Sünde.
Jeremia wurde aber schon vom Mutterleib aus geheiligtund Johannes hüpfte, als er
noch [im Leib] getragen wurde, vor Freude beim Klang der Stimme der Gottesgebä­
rerin Maria.“

Glaubwürdig ist also der Mann, und es gebührt sich, ihm zu vertrauen, da er nichts
gesagt hätte, was sich nicht mit den heiligen Worten vereinbaren lässt. Denn wie sollte
dieser Glänzende und Berühmte wohl die Wahrheit verfehlen, der auch in eben der
heiligen großen Synode (in derjenigen, die seinerzeit in Nizäa einberufen worden ist,
meine ich) von allen bewundert wurde.
Er verwaltete nämlich noch nicht den Bi­
schofsstuhl, sondern zählte zu den [gemeinen] Klerikern. Indes wurde er aufgrund
seines Scharfsinns, seiner übrigen Trefflichkeit und seines ungeheuer feinsinnigen und
unvergleichlichen Verstandes damals von dem Bischof seligen Angedenkens Alexander 
mitgenommen, war aber dem Alten verbunden wie ein Sohn dem Vater, indem er [ihn]
zu allem Zuträglichen leitete und [ihm] den Weg bei jeder einzelnen Aufgabe auf
vortreffliche Weise wies.

4 | 2–4 Denn … Gottesgebärerin]

Die hier zum Ausdruck gebrachte Schluss­fol­ge­rung findet sich in ähnlicher Form auch schon in Kyrills zeitnah verfasstem Osterbrief des Jahres 429 (vgl. Hom. pasch. 17,3,7–9). Allerdings wird dort der Begriff ‚Mutter Gottes‘ (μήτηρ θεοῦ) statt ‚Gottesgebärerin‘ (θεοτόκος) verwendet. Vgl. außerdem die Parallelen in Kyrills Streitschrift Contra Nestorium, CV166,I,2,18 – 20, ACO I,1,6 S. 18,36–38 und CV166,I,4,57 – 58, S. 23,28f. (Dok. 25), wobei Letzteres ein von Kyrill angeführtes Zitat des Nestorius darstellt (vgl. Loofs, Nestoriana S. 352,2f.), in welchem dieser sich allem Anschein nach auf die hier kommentierte Stelle bezieht.

4 | 7 Athanasius]

Zur Person vgl. Tetz (1979); zur Rolle des Athanasius in Kyrills Argumentationsstrategie vgl. Graumann (2002a), passim.

4 | 12 die‌¹ … hat]

Orationes contra Arianos (CPG 2093), deren drittes Buch, aus dem hier im Folgenden zitiert wird, vermutlich in den Jahren 340/341 entstanden ist (vgl. Tetz [1979], S. 344).

4 | 16–20 Es … ist]

Athan. Contra Ar. 3,29,1

4 | 16–20 wie … ist]

Ähnlich z.B. in dem allerdings ver­mut­lich später entstandenen (vgl. Tetz [1979], S. 339) Werk De decretis Nicaenae synodi, 14,9–14.

4 | 18 Abglanz]

Vgl. Hebr 1,3.

4 | 18–19 Weis­heit]

Vgl. 1 Kor 1,31.

4 | 21–24 Viele … Maria]

Athan. Contra Ar. 3,33,2.

4 | 22 Jeremia … geheiligt]

Vgl. Jer 1,5.

4 | 22–24 und … Maria]

Vgl. Lk 1,41–44.

4 | 27–29 der‌¹ … wurde]

Von der Teilnahme des Athanasius am Konzil von Nizäa berichten u.a. er selbst (Apol. contra Arianos 6,2) und der Kirchenhistoriker Sokrates (Hist. eccl. 1,15).

4 | 32 Alexander]

D.h. Alexander I. von Alexandria (sed. 313–328).

Die Akten des Konzils von Ephesus 431. Übersetzung, Einleitung, Kommentar

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