(4) 1. Groß ist des Geheimnis der Gabe. Das ist nämlich der Säugling, der gesehen
wird, das ist das, was der Erscheinung nach jung ist, das ist das, was leiblicher Windeln
bedarf, das ist das dem geschauten Wesen nach Neugeborene; ein Sohn, der im
Verborgenen ewig ist, ein Sohn, der Erschaffer des Alls ist, ein Sohn, der mit den
Windeln seines eigenen Schutzes die Zerbrechlichkeit der Schöpfung umwickelt.
2. Und unter anderem wieder: Und der Säugling ist ja aus eigenem Vermögen
handelnder Gott. In solchem Maße steht der Gott-Logos davon ab, Gott untertan zu
sein, Arius.Um dessentwillen hat er auch den verbundenen Leib als Gott ange‐
sprochen.
3. Und dann wieder: Wir erkennen also die Menschheit des Säuglings und die
Gottheit. Wir bewahren die Einheit der Sohnschaft in der Natur der Menschheit und
der Gottheit.
Da siehst du es ja, und zwar ganz deutlich: Du sagst, dass der Säugling, das Junge,
das, was gesehen wird, das Neugeborene, das, was in Windeln lag, Sohn sei und der
Erschaffer des Alls. Geboren hat uns den Säugling allerdings die heilige Jungfrau. Du
kennst denn nun also einen Gott, der dem Fleisch nach geboren worden ist, und das
hast du aus der göttlich inspirierten Schrift gelernt. Wer wird nämlich wohl als Er‐
schaffer des Alls wahrgenommen, wenn nicht allein jener, durch den der Vater alles
erschaffen hat? ‚Ich habe allerdings gesagt‘, wirst du vielleicht einwenden, ‚im Ver‐
borgenen Sohn und Erschaffer des Alls.‘ Gut, ich muss zustimmen, werde aber fragen:
Du meinst, dass das Verborgene der aus Gott [gezeugte] Logos ist und dieser Er‐
schaffer des Alls ist; warum hast du uns also gerade gleichsam mit dem Finger auf das
Junge und Neugeborene und den in Windeln [liegenden] Säugling verwiesen und
ebendies auch Sohn Gottes und Erschaffer des Alls genannt? Hast du dir etwa viel‐
leicht vorgestellt, dass der aus Gott [gezeugte] Logos in die Natur des Fleisches ver‐
wandelt worden sei, und klagst in erster Linie dich selbst an und nicht andere in der
Meinung, dass sie sich erdreistet hätten, dies zu sagen. Oder wenn der Säugling wirk‐
lich der verborgene Sohn und Erschaffer des Alls ist und dieser von der heiligen Jung‐
frau geboren worden ist, hast du sie [dann], ohne es zu wollen, zusammen mit uns
wider Erwarten als Gottesgebärerin bekannt? In welcher Hinsicht ist denn ein Säug‐
ling ein aus eigenem Vermögen handelnder Gott? Wenn du nämlich ‚aus eigenem Ver‐
mögen handelnd‘ in dem Sinne meinst, wie vielleicht auch jeder der Unsrigen verstan‐
den wird in der Annahme, dass ihm die Zügel seiner eigenen Entscheidungsgewalt von
Gott anvertraut worden sind, was ist das Herausragende an ihm gegenüber den ande‐
ren? Oder aus welchem Grund heftest du ihm das Handeln aus eigenem Vermögen
wie eine gottgeziemende und herausragende Würde an, wo es doch allen [Menschen]
auf der Erde möglich ist, es zu besitzen, sie es bereits sogar erlangt haben? Wenn aber
das Handeln aus eigenem Vermögen hierbei bedeutet, nicht den Gesetzen eines an‐
deren unterliegen zu müssen, sondern in diesem Sinne frei zu sein, wie wohl etwa auch
die göttliche Natur selbst verstanden wird, in welcher Weise, meinst du gehöre ein
neugeborener Säugling diesem so erhabenen Bereich an, der allein der höchsten Natur
und Herrlichkeit angemessen ist, wo doch alles, was ins Dasein gerufen worden ist,
von Gott eingebunden wird und das Joch der Knechtschaft auf sich nimmt? Doch du
wirst vielleicht glauben, dass dir im Hinblick auf all dies jene inhaltslose Aussage aus‐
reicht, die sich darauf bezieht, dass die Naturen miteinander verbunden werden müs‐
sen, und zwar keineswegs hypostatisch, sondern vielmehr wie durch eine unveränder‐
liche Ehre und durch ein gleiches Maß an Würde. Das sagst du nämlich aus unserer
Sicht immer aus Unwissenheit. Dass du aber überführt werden wirst, dich auf morsche
und brüchige Überlegungen zu stützen, wenn du solche Dinge sagst, wird sich zeigen,
und zwar bald, wenn die Gelegenheit uns einen Anlass dazu bietet.
Er verbindet aber mit diesen [Aussagen] noch andere, mit denen er glaubte, in der
Lage zu sein, und zwar auf wirklich kluge Weise, die Eigenheit der uns entsprechenden
Geburt als unschön und unerreichbar zu erweisen. Und er bringt die von unserer Seite
stammenden Äußerungen gegen sich selbst in Stellung, glaubt aber, sie leicht zu über‐
winden und als ungültig zu erweisen, obwohl sie die Wahrheit hochhalten. Er sprach
aber folgendermaßen:
4. ‚Wenn Christus‘, sagt er [sc. Kyrill], ‚Gott ist, Christus aber von der seligen
Jungfrau Maria geboren wurde, inwiefern ist die Jungfrau [da] nicht Gottesgebärerin?‘
Ich verberge nichts von den Entgegnungen, die von ihnen [geäußert worden sind].
Denn der Liebhaber der Wahrheit nimmt alles aus dem Bereich der Lüge hinzu und
hält es sich entgegen.
5. Dann versucht er, die Lösung herbeizuführen, indem er auf irgendwelche Über‐
legungen solcher Art zurückgreift: Der Fötus bildet sich im Mutterleib, aber solange
er noch nicht geformt ist, besitzt er keine Seele. Wenn er aber Gestalt angenommen
hat, wird er auch schon von Gott beseelt. Wie nun die Frau zwar den Leib gebiert,
Gott aber beseelt und eine Frau wohl nicht Seelengebärerin genannt wird, weil sie
Beseeltes geboren hat, sondern vielmehr Menschengebärerin, so, sagt er, ist auch die
selige Jungfrau, auch wenn sie einen Menschen geboren hat, selbst wenn zusammen
mit ihm der Gott-Logos hervorgekommen ist (diesen Ausdruck hat er ja verwendet),
deswegen keine Gottesgebärerin.
Soll nun also, sag mir, das von uns Gesagte deinerseits verworfen werden? Scheint
es dir etwa richtig zu sein, jenes, was in solchem Maße richtig und unverfälscht ist,
ohne Verstand zu tadeln, und solltest du den Vorwurf, nicht in der Lage zu sein, das
Nötige erwägen zu können, nicht auf dein eigenes Denken anwenden? Wem nämlich
die Wahrheit misstönend erscheinen sollte, für den wird wohl das, was nicht so be‐
schaffen ist, annehmbar; doch jene, die gewohnt sind, das Richtige zu sagen, zu tadeln,
bleibt vermutlich nicht ohne Strafe, [es ist] vielmehr schon sogar ein eindeutiger
Beweis dafür, der Lüge zugeneigt zu sein und sich entschieden zu haben, das in Ehren
zu halten, was man doch besser hassen sollte, davon ausgehend, dass es den angemes‐
senen Begriff verfehlt. Da er jedoch an etwas derart Schändliches nicht denkt, be‐
hauptete er, er sei selbst ein Liebhaber der Wahrheit, während wir ihm die Lüge fabri‐
zierten, obwohl es vielmehr entgegengesetzt zu betrachten ist, weil es [so] richtig und
wahr ist. Denn der Fürsprecher der Lüge und der Täuschung versucht natürlich, den
Kampfgefährten der Wahrheit den Makel der falschen Rede anzuheften, wobei er
vermutlich auch verdrängt hat, dass der Prophet da spricht: „Wehe denen, die das
Schimpfliche schön nennen und das Schöne schimpflich, die die Finsternis zu Licht
machen und das Licht zu Finsternis.“ Anhand des von ihm dargereichten Beispiels
werde ich jedoch versuchen zu beweisen, dass er nicht wirklich weiß, was er sagt.
Das Fleisch wird zwar der Übereinkunft nach aus Fleisch geboren,der Erschaffer
des Alls vollbringt jedoch auf eine Art und Weise, die [nur] er kennt, die Beseelung.
Man glaubt allerdings, dass die gebärende Frau, obwohl sie Quelle allein des Fleisches
ist, einen vollständigen Menschen gebiert, den aus Seele und Körper [bestehenden]
meine ich, auch wenn sie zur Existenz der Seele nichts von dem, was aus ihr selbst
kommt, beigetragen hat. Wer aber ‚Mensch‘ sagt, bezeichnet in jedem Fall zusammen
mit dem Leib auch die mit ihm geeinte Seele. Wie man also sagt, dass die Frau, obwohl
sie allein den Leib gebiert, den aus Seele und Fleisch [Bestehenden] gebiert, dies aber
die Begriffe der Seele in keiner Weise beschädigt, so als ob sie Fleisch als den
Ursprung ihrer eigenen Existenz annehme, so auch im Falle der seligen Jungfrau.
Wenn sie nämlich die Mutter des heiligen Fleisches ist, hat sie doch also in wahrhafter
Einung mit ihm den aus Gott [gezeugten] Gott-Logos geboren. Und wenn jemand sie
Gottesgebärerin nennt, legt er keineswegs fest, dass der Gott-Logos jünger ist, und
auch nicht, dass das Fleisch zum Anfang seiner eigenen Existenz gemacht worden ist.
Er wird vielmehr die Eigenheit des Heilsplans verstehen und in Bewunderung dessen
sagen: „Herr, ich habe deine Kunde gehört und war in Furcht. Ich habe deine Werke
wahrgenommen und war außer mir.“ Doch da der vor uns überaus weise und scharf‐
sinnig auftretende Exeget die Bedeutung des Beispiels 〈nicht〉 verstanden hat, sagt er:
So ist auch die heilige Jungfrau, auch wenn sie einen Menschen geboren hat, selbst
wenn zusammen mit ihm der Gott-Logos hervorgekommen ist, deswegen keine Got‐
tesgebärerin.Denn nicht von der seligen Jungfrau [kam] die Würde für den Logos,
sondern er war von Natur aus Gott.
Was es nun also eigentlich bedeutet, dass der Logos zusammen mit dem Fleisch
hergekommen ist, weiß wohl nur er selbst allein. Ich bewundere aber seine dermaßen
feinsinnige Genauigkeit voll und ganz. Die Rede der Wahrheit macht nämlich geltend,
dass sich der Logos Gottes hypostatisch mit dem Fleisch geeint hat. Doch er behaup‐
tet ständig, ohne dass ich wüsste, was er meint, das gemeinsame Hervorkommen.
Während sich also bei uns jede vorgebrachte Äußerung mit der Natur und der hypo‐
statischen Einung auseinandersetzt in dem Bemühen zu untersuchen, [und zwar]
nicht, was der aus Gott [gezeugte] Logos vielleicht im Hinblick auf die Wertschät‐
zung ist, sondern ob er dem Heilsplan entsprechend Mensch geworden ist und sich
dabei das von einer Frau [stammende] Fleisch zu eigen gemacht hat, sagt er, indem er
den Gegenstand der Untersuchung in befremdlicher Weise anderswohin verschiebt:
Nicht von der seligen Jungfrau [kam] die Würde für den Logos, sondern er war von
Natur aus Gott.
In welcher Hinsicht sind nun aber Würde und Natur nicht zwei eindeutig ver‐
schiedene Dinge? Doch wir haben keinen allzu dringenden Grund, hierüber im Detail
zu reden. Es ist nun vielmehr notwendig, das Folgende zu betrachten. Er bringt näm‐
lich noch etwas anderes gegen das von uns Gesagte in Stellung, etwas, das, wie er ver‐
mutlich glaubt, sich in keiner Hinsicht zurückweisen lässt und ausreichend ist, uns die
Geburt des Immanuel durch eine Frau als inhaltslosen Unsinn hinstellen zu können,
und zwar durchaus nachdrücklich. Er sagte dann wiederum Folgendes: