(29) Er wird aber auch durch die heiligen Schriften bald gänzlich als Mensch ver‐
kündet, wobei seine Gottheit mit Blick auf den Heilsplan verschwiegen wird, bald aber
wieder als Gott, wobei seine Menschheit verschwiegen wird. Ihm geschieht [dabei]
aber wegen des Zusammenschlusses beider zu einer Einung in keiner Weise Unrecht.
Daher schreibt der Göttliches kündende Paulus, ‚der Hebräer aus den Hebräern‘ und
aus ‚dem Stamm Benjamin‘,der ‚berufene Apostel‘, denen, die durch Glauben gerecht‐
fertigt sind und die Glieder des Fleisches abgetötet haben, Unzucht meine ich und
Leidenschaft, üble Begierde und Habgier: „Denn ihr seid gestorben, und euer Leben
ist zusammen mit Christus in Gott verborgen.“ Er [sc. Christus] selbst sagte außer‐
dem über seine Jünger: „Heiliger Vater, bewahre sie in deinem Namen, den du mir
gegeben hast, damit sie eins sind wie wir. Als ich mit ihnen zusammen war, habe ich
sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, bewahrt, und ich habe sie beschützt,
und keiner von ihnen ist umgekommen, außer dem Sohn des Verderbens, damit die
Schrift erfüllt werde. Nun komme ich zu dir und sage dies in der Welt, damit sie meine
Freude im Vollmaß in sich haben.“
Erkennst du nun, wie er sich uns in diesen [Worten] gleichsam ausschließlich von
der Menschheit her darzustellen scheint? Wir werden ja keineswegs denken, dass er
verborgen sei und die Welt verlassen habe, obwohl er deutlich sagt: „Wahrlich, wahr‐
lich, ich sage euch: Wo immer zwei oder drei in meinem Namen zusammenkommen,
dort bin ich in ihrer Mitte“, und wiederum: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zum
Ende der Zeit.“ Man sieht aber selbst den überaus heiligen Paulus häufig außer Acht
lassen, dass er [sc. Christus] auch als Mensch verkündet werden muss. „Paulus“, sagt
er nämlich, „Apostel, nicht von den Menschen und nicht durch einen Menschen,
sondern durch Jesus Christus“, und außerdem sagt er: „Ich tue euch das Evangelium
kund, das von mir verkündet wird, dass es nicht nach Menschenmaß ist. Denn ich
habe es nicht von einem Menschen empfangen oder gelernt, sondern durch die Offen‐
barung Jesu Christi.“ Und auch an einem anderen Ort sagt er: „Wenn wir Christus
auch dem Fleisch nach kannten, kennen wir ihn nun nicht mehr so.“ Wer ist nun Jesus
Christus, der die derart unaussprechliche, untrügliche und göttliche Offenbarung
seines Geheimnisses in ihm aufleuchten ließ? Ist er nicht der Fleisch gewordene
Logos, der unseretwegen auch die Geburt aus der Frau nicht verachtete? Wie kann
denn das, was ich sagte, nicht wahr sein? Wir haben schließlich den seligen Gabriel vor
Augen, der zur heiligen Jungfrau sagte: „Fürchte dich nicht, Maria, siehe, du wirst
schwanger werden, einen Sohn gebären und ihm den Namen Jesus geben.“Meiner
Meinung nach wurde dieser Name dem Logos vom Vater durch die Stimme des Engels
neu gegeben. So hat es schließlich auch der prophetische Spruch im Voraus lauthals
angekündigt: „Sie werden seinen neuen Namen rufen, den der Herr nennen wird.“ Als
der dem Vater gleich ewige und vor aller Zeit [existente] Sohn und Einziggeborene
also in den letzten Abschnitten des Zeitalters Mensch geworden ist, aus einer Frau ge‐
boren worden ist, als Sohn berufen wurde, ‚Erstgeborener‘ hieß und ‚unter viele Brü‐
der‘ kam, da legte der natürliche Vater den Namen fest und folgte damit, um es so zu
nennen, den Gesetzen der Vaterschaft.