CVer3: Nestorius’ erster Brief an Coelestin

Inhalt: Nestorius fragt bei Coelestin nach, inwieweit es sich bei der Lehre des Julian von Eclanum und seines Kreises um eine Häresie handele. Im Anschluss daran legt er seine Position zum θεοτόκος-Begriff dar.

Edition: Collectio Veronensis 3, ACO I,2 S. 12,19–14,3; ältere Edd.: Coustant (1967 [= 1721]), Sp. 1075–1079; Mansi, Bd. 4 Sp. 1021–1023; Loofs, Nestoriana S. 165–168; PL 48, Sp. 173–178; 50, Sp. 438–441

Verzeichnisnummern: Jaffé (2016–2020), Nr. 824; CPG 5665

Verfasser: Nestorius von Konstantinopel

Datierung: spätestens Frühsommer 429

Griech. Original: –

Weitere lat. Fassungen: –

Literatur: Schwartz (1914a), S. 5; Schwartz (1914b), S. 252f.; Caspar (19301933), Bd. 1 S. 391f.; Camelot (1963), S. 38 u. 76f.; Speigl (1969), S. 4–7; Vogt (1975), S. 88f. u. 95–97; Wojtowytsch (1981), S. 283f.; Wessel (2004), S. 107f.; Krannich (2005), S. 108f.; Bevan (2016), S. 111f.; Price/Graumann (2020), S. 36 u. 97–100

(2) Daher bedienen auch wir uns, die wir hier bei einigen [Leuten] auf eine nicht
unbedeutende Verderbtheit des rechten Glaubens stoßen, täglich des Zorns und der
Milde bei den Kranken. Denn die Krankheit ist nicht gering, sondern der Fäulnis des
Apolinarios und des Arius verwandt, indem sie die Erscheinung des Herrn im Men­
schen allenthalben zu einer Unschärfe, die aus einer Vermischung resultiert, vermengt,
[und zwar] so sehr, dass auch einige der Geistlichen bei uns, die einen aus Unwissen­
heit, die anderen aus bis dahin in ihnen verborgener häretischer Hinterhältigkeit, wie
sie sehr häufig auch in den Zeiten der Apostel anzutreffen war, gleichsam an Häresie
erkrankt sind und offen lästern, dass das mit dem Vater wesenseine göttliche Wort den
Anfang seiner Entstehung gleichsam von der Christus gebärenden Jungfrau her
empfangen habe und zusammen mit seinem Tempel erbaut und mit dem Fleisch mit­
begraben worden sei, und sie sagen, dass das Fleisch nach der Auferstehung nicht
Fleisch geblieben, sondern in die Natur der Gottheit übergegangen sei. Um es zu­
sammenfassend zu sagen, sie beziehen die Gottheit des Eingeborenen auf den Ur­
sprung des [mit ihm] verbundenen Fleisches und töten sie zusammen mit dem
Fleisch, und sie lästern, dass das der Gottheit verbundene Fleisch auf die Gottheit
übergegangen sei, durch eben das Wort ‚Vergöttlichung‘,
was nichts anderes ist, als
beides zu entstellen.

Aber sie haben es auch gewagt, die Jungfrau als Christusgebärerin in gewisser
Weise mit Gott zusammen als göttlich zu behandeln. Denn sie schrecken nicht davor
zurück, diese ‚Gottesgebärerin‘ zu nennen,
obwohl die heiligen und über allem Lob
[stehenden]
Väter in Nizäa nichts weiter über die heilige Jungfrau gesagt haben, als
dass unser Herr Jesus Christus Fleisch geworden sei aus dem Heiligen Geist und der
Jungfrau Maria.
Und ich übergehe die [heiligen] Schriften, die überall durch die Engel
und die Apostel verkündigen, dass die Jungfrau die Mutter Christi, nicht des gött­
lichen Wortes sei. Wie viele Kämpfe wir deswegen ausgehalten haben, hat, wie ich
glaube, [bereits] das vorauseilende Gerücht Deine Seligkeit gelehrt, die auch dies
wahrnimmt, dass wir nicht vergeblich gekämpft haben, sondern dass viele von denen
durch die Gnade des Herrn gebessert wurden, die ruchlos waren, als sie sich von uns
abwandten, 〈weil wir die Bezeichnung ‚Gottesgebärerin‘ für die heilige Jungfrau ab­
lehnen. Denn〉 im eigentlichen Sinn 〈muss〉 die angeborene Beschaffenheit mit [der]
der Gebärenden wesenseins 〈sein〉. Mit ihr aber ist jenes Erscheinen im Menschen
verbunden. Die Schöpfung der mit Gott verbundenen Menschheit des Herrn ist aus
der Jungfrau durch den Geist [erfolgt]. Wenn aber jemand diese Bezeichnung ‚Got­
tesgebärerin‘ der geborenen Menschheit wegen, die mit dem göttlichen Wort verbun­
den ist, nicht [aber] der Gebärerin wegen benutzt, sagen wir zwar, dass diese Be­
zeichnung auf die, die geboren hat, nicht zutrifft (denn die wahre Mutter muss von
demselben Wesen sein wie das von ihr Geborene), trotzdem kann diese Bezeichnung
toleriert werden aufgrund eben der Erwägung, dass dieses Wort in Bezug auf die Jung­
frau nur wegen des von ihr untrennbaren Tempels des göttlichen Wortes gebraucht
wird, nicht weil sie selbst die Mutter des göttlichen Wortes ist.
Denn niemand bringt
jemanden zur Welt, der älter ist als er selbst.

2 | 14–17 sie … Vergöttlichung]

Die Worte weisen eine auffällige Ähnlichkeit mit dem Titel der zweiten von Kyrill in seinem Brief an die Apokrisiare (CV22,2,4 – 6, ACO I,1,1 S. 110,21–23 [Dok. 8]) genannten Schrift auf, die offenbar dem Diakon Buphas Martyrios zugegangen waren: Πρὸς τοὺς διὰ τὴν συνάφειαν ἢ τὴν θεότητα τοῦ μονογενοῦς νεκροῦντας ἢ ἀποθεοῦντας τὴν ἀνθρωπότητα. Vgl. hierzu Anm. zu der angeführten Stelle.

2 | 20–24 Denn … Maria]

Hier nimmt Nestorius offenbar Bezug auf Kyrills Brief an die Mönche (CV1,5,3 – 4, ACO I,1,1 S. 12,22–24 [Dok. 5]): [...] φά­ναι τε πρὸς τούτῳ τὴν ἁγίαν ἐκείνην καὶ μεγάλην σύνοδον μήτε θεοτόκον εἰπεῖν τὴν τοῦ κυρίου μητέρα μήτε μὴν ὅλως ὁρίσαι τι τοιοῦτον [...], vgl. Graumann (2002a), S. 286 Anm. 30.

2 | 20–21 Denn … nennen]

Von Kyrill offenbar aufgenommen in CV13,15 – 19, ACO I,1,1 S. 92,13f. (Dok. 33).

2 | 22 Väter … Nizäa]

Obgleich sich Nestorius hier ausdrücklich auf das Nizänum bezieht, zitiert er im Folgenden das Konstantinopolitanum, s. hierzu Vogt (1975), S. 90; Kinzig (2021a), S. 51–62 u. 103f.

2 | 31–41 Denn … ist]

Inhaltlich sehr ähnlich in CV166,I,9,1 – 12, ACO I,1,6 S. 31,6–13 (Dok. 25). Vgl. auch Anm. zu CV166,I,9,

Die Akten des Konzils von Ephesus 431. Übersetzung, Einleitung, Kommentar

Impressum

Förderung und Partner

  • Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
  • Universität Bonn
  • Universität Bern
Logo DFG
Logo Universität Bonn
Logo Universität Bern