CV166: Kyrill, ‚Gegen Nestorius‘

Inhalt: Kyrill unterzieht die Christologie seines Gegners Nestorius einer groß angelegten Kritik. Zu diesem Zweck zitiert er zahlreiche ihm anstößig erscheinende Aussagen, die jener im Vorfeld getätigt hatte, und stellt diesen dann seine eigenen Ansichten gegenüber.

Edition: Collectio Vaticana 166, ACO I,1,6 S. 13,4–106,41; ältere Edd.: PG 76, Sp. 9–248; Pusey (1965 [= 1868–1877]), Bd. 6 S. 54–239

Verzeichnisnummern: CPG 5217

Verfasser: Kyrill von Alexandria

Datierung: spätestens Mitte 430

Lat. Übersetzungen:  –

Literatur: Pusey (1881), S. 1–184.

(6) Ich freue mich, sagte er nämlich, wenn ich euren Eifer sehe. Eben da ist der
Beweis der Abscheulichkeit des von diesem Elenden Gesagten. Wozu nämlich zwei
Geburten gehören, dazu gehören zwei Söhne.
Die Kirche kennt aber einen Sohn,
Christus, den Herrn.

Auf überaus törichte Weise hat er nun die Prämisse seiner Überlegungen zu diesem
Thema hervorgebracht, als er sagte: ‚Wozu nämlich zwei Geburten gehören, dazu
gehören zwei Söhne.‘ Indem wir aber die darin liegende Spitzfindigkeit übergehen,
wollen wir inzwischen – ja, machen wir uns ans Werk – sammeln, was sich aus der
genauen Untersuchung für das Ziel der Rede ergibt. Er hat [es] also für unannehmbar
erklärt und sagt, dass eine [Geburt] von uns bekannt werden müsse, auf dass wir nicht
zwei Söhne denken, als ob es nötig sei, dass, wenn es zwei Geburtsvorgänge geben
sollte, auch zwei Söhne eingeführt werden. Soll er [doch] vortreten und uns darüber
aufklären, welche der Geburten er denn akzeptiert: die vorzeitliche aus dem Vater,
nach welcher der Logos noch nicht Fleisch gewordener Gott war, oder eben die
neulich geschehene durch eine Frau. Wenn er nun allein jene nennen wird, die vorzeit­
liche aus dem Vater meine ich, sollte jener, der aus ihm der Natur nach [Gezeugte],
auch allein Sohn sein, obwohl er noch nicht des Fleisches und Blutes teilhaftig
geworden ist.
Umsonst wird dann, wie es scheint, das Geheimnis der Menschwerdung
verkündet, und er [sc. der Logos] hat sich auf keine Weise entäußert und ist auch
nicht in die Gestalt eines Knechtes gelangt,
sondern so geblieben, da er die wahrhafte
Vereinigung mit dem Fleisch bisher noch vermieden hat. Doch 〈wenn〉 der eben in den
letzten Momenten aus einer Frau [Geborene] allein Sohn genannt werden sollte und
wir auch ausschließlich ebendiese Geburt durch eine Frau akzeptieren, hat sich der aus
Gott, dem Vater, [gezeugte] Logos unweigerlich davon entfernt, der Natur nach Sohn
zu sein.

Doch der Gottgefällige sieht vermutlich in vollem Umfang die Absurdität der Ge­
danken und das allzu sehr der Gottlosigkeit Zugewandte. Um also den Königsweg zu
beschreiten,
sagen wir, dass es zwei Geburtsvorgänge gegeben hat, aber der durch
beide [hervorgebrachte] Sohn einer ist: der aus Gott [gezeugte] Logos, als er noch
nicht ins Fleisch gekommen war, derselbe dann später, als er Fleisch geworden war
und unseretwegen die Geburt durch eine Frau dem Fleisch nach erduldet hatte. Wenn
er nämlich über Menschen gesagt hätte, dass es in jedem Fall nötig sei, zwei Söhne zu
denken, wenn wir zwei Geburten erwähnen, hätte er wohl richtig gesprochen und es
wäre wahr. Da aber das Geheimnis Christi und das Prinzip der Menschwerdung einen
anderen Weg kennen und nicht in den [Kategorien], die uns entsprechen, betrachtet
werden, warum ertappt man ihn [dann] dabei, wie er auf unsere Gewohnheiten blickt,
dann den Sinn auf unbegreifliche und den Begriff übersteigende Dinge richtet und in
einen überaus schwächlichen und dummen Mangel an Glauben verfällt?

Was mich aber außerdem noch verwundert, ist Folgendes: Obwohl er hier nämlich
bekennt, dass die Kirche einen Sohn kennt, und ‚Christus, den Herrn‘ hinzugesetzt
hat, beachtet er das einen nicht mehr. Er trennt ja die geeinten [Elemente] voneinan­
der und bestimmt jedes von beiden separat, [und zwar] nicht, indem er untersucht,
was der Logos der Natur nach ist, was aber auch das Fleisch, sondern vielmehr, indem
er Mensch und Gott auf Grundlage einer ausschließlichen Gleichheit an Ehre, wie er
jedenfalls glaubt, zu einem zusammenbringt, was aber vollkommen unglaubwürdig ist,
vielmehr sogar unmöglich und das Ansehen des Geheimnisses bis zur Verunstaltung
erschüttert. Er sprach aber folgendermaßen:

I-6 | 1–4 Ich … Herrn]

Vgl. Loofs, Nestoriana S. 352,22–25.

I-6 | 3–4 Die … Herrn]

ἕνα οἶδεν υἱόν, τὸν δεσπότην Χριστόν: vgl. N: καὶ εἰς ἕνα κύριον Ἰησοῦν Χριστόν (und an einen Herrn Jesus Christus).

I-6 | 9 es]

An dieser Stelle scheint der überlieferte Text unvollständig zu sein. Um die anzunehmende Lücke zu schließen, schlagen Agellio (1607) εἰ δυο εἶναι γεννήσεις und Schwartz εἰ τὸ τῶν γεννήσεων διπλοῦν vor. Die Übersetzung versucht, den überlieferten Wortbestand wiederzugeben.

I-6 | 17–18 obwohl … ist]

Vgl. Hebr 2,14.

I-6 | 19–20 und‌¹ … gelangt]

Vgl. Phil 2,7.

I-6 | 21 wenn]

Hinzufügung von Agellio (1607). Der Satz bleibt aber trotz dieser wahrscheinlich gerechtfertigten Maßnahme schwierig. Lässt man den Rest so, wie er überliefert ist, müsste die Apodosis, die dann auf eine dem kyrillischen Stil in solchen Zusammenhängen durchaus entsprechende Protasis ohne ausgesprochenes Subjekt folgte, eigentlich schon mit αὐτὸς [ἂν] λέγοιτο κτλ. beginnen, was mit der Wortfolge des ersten darin anzunehmenden Teilsatzes auch durchaus harmoniert. Allerdings stünde dann die Kernaussage der Apodosis, ihr letzter Teilsatz, als Asyndeton ohne gebührende Betonung da. Schwartz tilgt daher das überlieferte ἄν und lässt die Apodosis erst mit ἀπώλισθεν beginnen. So erhält zwar die Kernaussage ihre angemessene Betonung, dafür wirkt der erste Abschnitt der so geschaffenen Protasis (ἀλλ’ [...] υἱὸς) aber in seiner Wortstellung unrund. Alternativ zu der Schwartzschen Lösung könnte man vielleicht auch eine ausgefallene Partikel nach oder vor ἀπώλισθεν annehmen.

I-6 | 27–28 Um … beschreiten]

Vgl. Num 20,17.

Die Akten des Konzils von Ephesus 431. Übersetzung, Einleitung, Kommentar

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